Die Chroniken von Amarid 05 - Der Adlerweise
Stepan?«
Der ältere Mann zuckte die Achseln. »Ich weiß nicht, was ich glauben soll. Ich weiß allerdings, dass die Regeln der Liga nicht vorschreiben, dass Erland zugunsten von Cailin zurücktritt.« Er starrte Cailin mit einem höhnischen Ausdruck auf seinem breiten teigigen Gesicht an. »Das ist eine Tradition des Ordens.«
»Cailin hat nicht vorgeschlagen, dass Erland zurücktritt«, sagte Arslan. »Sie meinte nur, dass sie -«
»Tatsächlich, Arslan«, unterbrach Cailin ihn, »ist das genau das, was ich vorschlagen wollte.«
Der rothaarige Magier sah sie stirnrunzelnd an und schüttelte den Kopf.
»Wie Stepan uns schon erinnert hat«, sagte Erland, »gibt es nichts in den Regeln, was deinen Anspruch auf meine Position unterstützen würde. Das ist nichts weiter als ein offensichtlicher Versuch, die Macht an dich zu reißen, und es wird nicht funktionieren. Ordensmagier würden es dir vielleicht durchgehen lassen Cailin, aber wir nicht.« Er grinste. »Aber das ist ein guter Gedanke: Warum bringst du deinen Adler nicht zum Orden? Vielleicht machen sie dich zur Adlerweisen.«
Stepan lachte, ebenso wie ein paar andere, aber die meisten Magier blieben reglos sitzen, als warteten sie darauf, welche Wendung diese neueste Konfrontation zwischen den Gründern der Liga nehmen würde.
Auch Cailin gestattete sich ein Lächeln. Erland war ein Furcht einflößender Mann, aber er hatte keinerlei Fantasie. Es war beinahe zu leicht gewesen, ihn zu diesem Punkt zu führen. »Zum Orden zu gehen ist eine gute Idee, Erland. Tatsächlich habe ich das bereits getan.«
Sein Grinsen verschwand, und er starrte sie interessiert an. »Und?«, fragte er plötzlich atemlos.
»Sie haben bereits einen Adlerweisen.«
Cailin hatte erwartet, dass diese Nachricht eine wahre Explosion von Fragen und ungläubigen Protest mit sich bringen würde, und sie wurde nicht enttäuscht. Sie hatte allerdings auch erwartet, dass Erland sie am lautesten der Lüge bezichtigen würde, aber der ältere Mann überraschte sie. Er schien irgendwie zu spüren, dass sie die Wahrheit sagte, und obwohl er dunkelrot wurde, blieb seine Stimme ruhig. Dennoch schnitt sie durch den Lärm wie eine Klinge und brachte die anderen Magier zum Schweigen.
»Wer ist es?«, wollte er wissen. »Sag mir, dass es nicht Baden ist.«
»Nein, nicht Baden, sondern ein jüngerer Mann namens Jaryd.«
»Jaryd?«, sagte Arslan mit großen Augen. »Ist Alayna seine Erste?«
»Ja.«
»Jaryd«, wiederholte Erland. »Er hat uns gesagt, dass so etwas geschehen würde.«
»Wer hat das gesagt, Erster Meister?«, wollte Stepan wissen. »Baden selbstverständlich«, murmelte der weißhaarige Mann. Dann schüttelte Erland den Kopf und sah sich im Saal um, als wäre ihm jetzt erst aufgefallen, dass die anderen noch da waren. »Ich muss zugeben, das ist eine interessante Wendung«, erklärte er. »Aber es ändert gar nichts.« »Ach nein?«, fragte Vawnya. »Der Orden hat einen Adlerweisen, und die Götter haben uns ebenfalls einen Adler gesandt. Das muss doch etwas zu bedeuten haben.« »Da bin ich ganz deiner Ansicht.«
Alle schauten zu einem Stuhl am anderen Ende des Tisches, direkt neben Erland. Und zum ersten Mal an diesem Tag verspürte Cailin so etwas wie Hoffnung.
»Du, Toinan?«, fragte Stepan staunend und mit, wie Cailin dachte, einiger Verzweiflung.
Toinan war Sonels Erste gewesen, bevor die Liga entstanden war, und war als solche, von Erland einmal abgesehen, das geachtetste Ordensmitglied. Mit ihrer Unterstützung würde Cailin eine Chance haben.
»Ja«, sagte die alte Frau. Sie erhob sich und stützte sich dabei schwer auf ihren Stab. Ihr Haar war grau, und ihre dunkelblauen Augen waren in den vergangenen Jahren trüber geworden. Aber ihre Stimme war weiterhin kräftig, und nun hatte sie die Aufmerksamkeit aller. »Ich habe schon lange gelebt - länger als ihr alle, würde ich sagen - und selbst ich habe nie einen Adler auf dem Arm eines Magiers gesehen. Und nun gibt es gar zwei?« Sie schüttelte den Kopf und versuchte zu lächeln, aber ein Hustenanfall unterbrach sie. »Die Götter tun so etwas nicht einfach aus einer Laune heraus«, fuhr sie fort, als sie wieder sprechen konnte. »Darin liegt eine Warnung, ein Hinweis auf die Macht des Feindes, dem wir gegenüberstehen. Wir ignorieren diese Warnung auf eigene Gefahr.«
»Bedeutet das«, fragte Arslan, »dass du glaubst, Cailin sollte uns anführen?«
Erland machte eine ungeduldige Geste und trat vom Tisch zurück.
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