Die Chroniken von Amarid 05 - Der Adlerweise
»Das ist keine Entscheidung, die Toinan zustehen würde«, sagte er, und als er sich dann wieder dem Tisch zuwandte, fügte er rasch hinzu: »Oder irgend einem anderen einzelnen Magier.«
»Selbstverständlich nicht«, sagte Arslan. »Aber ich möchte gerne hören, was die Eulenmeisterin zu sagen hat.« Er lächelte, aber das Lächeln drang nicht bis zu seinen Augen vor. »Wir sollten in einer solch wichtigen Angelegenheit alle angehört werden, denkst du nicht auch, Erster Meister?«
»Worauf willst du hinaus?«, fragte Erland leise.
Arslan schüttelte den Kopf. »Auf gar nichts. Aber das hier ist eine Angelegenheit, die über die persönlichen Interessen sämtlicher Mitglieder hinausgeht. Selbst über deine.« Er holte tief Luft und fuhr sich mit der Hand durch sein wirres Haar. »Die meisten hier in diesem Saal haben vor sieben Jahren zusammen mit dir die Versammlung verlassen, weil wir deiner Kritik an Baden und an dem, was er und Orris getan hatten, zustimmten. Du wirst sicher wissen, wie schwer uns das gefallen ist, aber wir haben dir vertraut, und wenn die gleiche Situation noch einmal auftauchen würde, würde ich nicht zögern und dir abermals folgen. Ich bezweifle, dass es den Übrigen anders geht. Aber du hast uns aus der Großen Halle herausgeführt, weil sich Baden und die anderen mehr um ihre eigenen Angelegenheiten und ihr Wohlergehen sorgten als um das Land und sein Volk. Und ich werde nicht einfach tatenlos zusehen, wie Mitglieder dieser Liga das Gleiche tun. Ob das nun Cailin ist oder du.«
Erland sah sich im Saal um, ebenso wie Cailin, und es schien, als hätte er dieselbe Entschlossenheit in den Gesichtern ihrer Mitmagier entdeckt wie sie.
»Also gut«, sagte der Erste Magier und kehrte zu seinem Stuhl zurück. Er setzte sich hin und sah sich ein zweites Mal um, diesmal mit grimmiger Miene. »Also gut«, sagte er abermals.
»Toinan?«, sagte Arslan zu der alten Frau.
Die Eulenmeisterin zuckte die Achseln. »Wie Erland schon bemerkte, mir steht keine Entscheidung zu. Aber ich will eines sagen: Wir haben einen Ersten Meister, den wir achten, und eine Adlermeisterin, die uns mit einer Botschaft der Götter entgegentritt. Zwei solche Anführer zu haben, kann uns nur stärken.«
Toinan setzte sich wieder hin, ein kleines Lächeln auf den schmalen Lippen.
Einen Augenblick lang herrschte Schweigen, und dann brachen überall Streitgespräche aus.
Und dennoch wusste Cailin bereits, dass Toinan die Lösung gefunden hatte. Die Magier der Liga würden vielleicht den Rest des Tages brauchen, um das ebenfalls zu begreifen, aber sie hatte gehört, wie vorausschauend die Worte der alten Frau waren.
Als sie über den Tisch hinweg Erland ansah, bemerkte sie, dass er sie bereits beobachtete und ebenso wenig wie sie auf die allgemeine Unruhe achtete. Sie bemerkte seinen resignierten Blick, und dann sah sie zu ihrer Überraschung, dass er ihr tatsächlich zunickte, als hätte er bereits erkannt, dass die nun folgende Entscheidung unvermeidlich war. Wie Cailin erwartet hatte, brauchten die anderen Magier dazu etwas länger. Zu lange, was sie anging. Alles, was die Liga in den letzten Monaten tat, schien zu Auseinandersetzungen zu fuhren. Ihre Abstimmungen, so hatte sie vor kurzem mit einiger Unruhe bemerkt, erinnerten sehr an das, was sie von den letzten Tagen des Ordens vor der Spaltung gehört hatte.
Am Ende kamen die Magier zu einem Ergebnis. Cailin sollte Adlermeisterin sein und Erland würde Erster Meister bleiben. Und bis zum Ende der derzeitigen Krise - worin immer sie bestehen mochte - würden sie die Liga gemeinsam anfuhren.
Es war ein guter Anfang, dachte sie, als sie lange nach Einbruch der Dunkelheit die Halle verließ und mit Rithel in den Frieden und die Einsamkeit des Falkenfinderwalds zurückkehrte. Aber es war nicht mehr als das. Sie und Erland waren nun in einer Partnerschaft miteinander verbunden, die sich zweifellos als schwierig erweisen würde. Er hatte nur zugestimmt, die Macht mit Cailin zu teilen, nicht aber auf sie zu hören, und ganz bestimmt nicht, ihrem Wort zu folgen. Cailin bezweifelte nicht, auf wessen Seite sich die anderen schlagen würden, wenn sie und Erland einmal unterschiedlicher Meinung sein sollten - wozu es sicher viele Gelegenheiten geben würde. In gewisser Weise hoffte sie beinahe, dass ihnen ein Konflikt mit dem Orden bevorstand, denn sie wusste, dass es ihr nie gelingen würde, Erland und seine Anhänger davon zu überzeugen, den Orden als Verbündete
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