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Die Chroniken von Amarid 06 - Der Friede von Lon-Tobyn

Die Chroniken von Amarid 06 - Der Friede von Lon-Tobyn

Titel: Die Chroniken von Amarid 06 - Der Friede von Lon-Tobyn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David B. Coe
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sie ihn zum letzten Mal besucht hatte, und beide Male war sie vor dem Abend gekommen. Also war Marar nicht überrascht, als er an diesem Nachmittag ihre Stimme im Flur vor seiner Zelle hörte. Er setzte sich auf die kalte Stahlpritsche, auf der er gelegen hatte, zupfte die schlichte blaue Kleidung zurecht, die man ihm gegeben hatte, und fuhr sich durch das verfilzte schmutzige Haar. Dann sah er gespannt zur Metalltür, die sich in seinen Bereich des Gefängnisses öffnete, und wartete.
    »Guten Tag, Marar«, sagte Melyor, öffnete die Tür und trat in den schmalen Flur.
    Er hatte sich vorgenommen, keine Zeit zu verschwenden. »Melyor«, begann er mit fester Stimme und erhob sich. »Ich würde gerne ... «
    Er hielt inne und riss den Mund auf, als Wiercia der Herrscherin von Bragor-Nal in den Flur folgte. Wie immer trug sie ihr scharlachrotes Gewand und den Kopfputz, und wie immer hatte sie ein etwas spöttisches Lächeln auf den Lippen, das breiter wurde, als sie Marars Miene sah.
    »Hallo, Marar«, sagte sie. »Du scheinst überrascht zu sein, mich zu sehen.«
    Er starrte die beiden an und wusste, wie dumm er aussehen musste, und dennoch konnte er nicht aufhören zu glotzen. »Er ist sprachlos«, sagte Melyor mit einem amüsierten Blick zu Wiercia. »Wenn ich gewusst hätte, dass es nicht mehr als das braucht, hätte ich dich schon vor Jahren in den Goldpalast eingeladen.«
    Wiercia lachte und Marar spürte, wie sein Magen sich zusammenzog.
    Melyor ging immer noch auf Krücken, aber sie war in Kampfkleidung wie stets. Sie trug das übliche helle Hemd, eine dunkle Hose und Stiefel mit Metallspitzen, wie sie die Straßenkämpfer in den Blocks bevorzugten, und sie hatte einen Werfer an den Oberschenkel geschnallt. Ihr Haar fiel ihr in bernsteinfarbenen Wellen auf die Schultern, und in den grünen Augen spiegelte sich das scharlachrote Feuer des Steins an der Spitze des uralten Stabs, den sie in der
    Hand hielt. Sie war schön und geheimnisvoll und tödlich. Er konnte sich nicht erinnern, sie je anders gesehen zu haben.
    Als er von Melyor zu Wiercia schaute, war er unwillkürlich verblüfft über den Unterschied zwischen ihnen. Wo Melyor verlockend war, war die Frau aus Oerella-Nal streng, wo Melyor schlank und kompakt war wie eine Kämpferin, war Wiercia hoch gewachsen und beeindruckend. Melyors Kleidung erinnerte alle, die ihr begegneten, an ihre Vergangenheit als Gesetzesbrecherin. Wiercias Gewand ließ sie wie eine Priesterin aussehen, stoisch und unbeugsam. Schon getrennt waren sie Furcht erregende Gegnerinnen. Zusammen waren sie unbesiegbar. Und sie wussten es ebenso wie er.
    »Was werdet ihr mit mir machen?«, fragte er und vergaß in diesem Augenblick alle Strategien und Tücken, die er sich in den vergangenen Tagen ausgedacht hatte. »Ihr könnt mich nicht hinrichten. Ihr könnt mich nicht in ein normales Gefängnis stecken.«
    »Wir könnten dich in diesem hier lassen«, sagte Wiercia. Offenbar würde es keinen Streit über Zuständigkeiten geben.
    »Oder in dem in Wiercias Palast«, fügte Melyor hinzu, als wollte sie das noch einmal beweisen. »Aber«, sagte sie dann, wieder an Wiercia gewandt, »es kommt mir so vor, als ob einfache Gefangenschaft bei seinen Verbrechen kaum das Richtige wäre.«
    »Das ist alles, was die Verträge zulassen!«, sagte er mit zitternder Stimme. Seine Stimme zitterte in letzter Zeit sehr oft.
    »Nein, das ist nicht wahr«, sagte Wiercia. »Ich habe mir die Zeit genommen, den Vertrag noch einmal genau zu lesen, besonders die Paragraphen, in denen es um die Bestrafung von Herrschern geht. Der Vertrag ist recht eindeutig bei dem, was wir nicht tun können, wie du bereits weißt. Aber er ist sehr vage, wenn es darum geht zu beschreiben, was erlaubt ist. Offenbar sind unsere Optionen beinahe grenzenlos.«
    »Ich glaube dir nicht.«
    Sie zog die Brauen hoch und schnippte mit den Fingern. Sofort kam eine ihrer Legatinnen in den Flur, die ein abgegriffenes Buch in der Hand hielt.
    »Du kannst die exakten Formulierungen alle hier nachlesen«, sagte die Herrscherin, als die Legatin ihr das Buch reichte. »Soll ich es dir vorlesen?«
    Marar setzte sich wieder auf die Pritsche. »Nein«, murmelte er. »Spar dir die Mühe.«
    »Das Problem«, sagte Melyor, »besteht darin, dass wir uns beide nicht die Last aufbürden wollen, dich für den Rest deines Lebens gefangen zu halten. Wir wollen dich nicht in unseren Palastgefängnissen.«
    Er blickte begierig zu ihr auf. Vielleicht hatte er immer

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