Die Chroniken von Araluen - Die Belagerung: Band 6 (German Edition)
meinte sie, einen glänzenden schwarzen Schleier über den blauen Tiefen des Edelsteins zu sehen, und ihr Geist befreite sich aus Kerens Griff.
Stell dir etwas Angenehmes vor , hatte Malcolm ihr geraten. Sie stellte sie das Angenehmste vor, was ihr einfiel: Wills Gesicht. Lächelnd, mit zerzaustem Haar, die braunen Augen strahlend vor Lebensfreude.
Und ihr Geist war frei!
»Sieh weiter ins Blau«, sagte Keren sanft. »Bist du bereit, meine Fragen zu beantworten?«
Sie starrte weiter auf den Edelstein. Doch jetzt war das Bild blass und das Blau stellte nur einen verschwommenen Hintergrund für Wills Gesicht dar. Dieses schelmische Grinsen hatte sie immer schon gemocht, wurde ihr klar.
»Ja«, antwortete sie einfach. Sie war froh, dass Malcolm ihr geraten hatte, nicht den Eindruck erwecken zu wollen, als wäre sie in Trance. Sie hatte keine Ahnung, wie sie sich bei den vorherigen Gelegenheiten
verhalten hatte, als Keren sie befragte, aber sie hatte immer angenommen, in einer Art Trance gewesen zu sein. Anscheinend stimmte das jedoch nicht.
»Gut. Du wirst mir wahrheitsgemäß antworten und dich später an nichts mehr erinnern. Also, Alyss: Da waren Lichter im Wald letzte Nacht«, fuhr er fort. Wie sie vermutet hatte, wusste er davon.
»Da waren Lichter«, wiederholte sie einfach. Bisher hatte er keine genaue Frage gestellt, also war auch keine bestimmte Antwort erforderlich.
»Hast du sie gesehen?«, fragte er.
Plötzlich verspürte sie den Drang, wahrheitsgemäß zu antworten: »Ja, ich sah sie. Es waren Lichtzeichen.« Rasch strich sie über den Stellatit, stellte sich wieder Wills Gesicht vor und merkte, wie dieser Drang nachließ und ihr eigener Wille stärker wurde.
»Nein«, antwortete sie und ihr Herz klopfte schneller. Sie hatte es geschafft! Sie hatte seinen Bann gebrochen. Sie konnte Keren nun alles sagen, was sie wollte, alles beantworten, solange sie nur aufpasste, was sie sagte. Innerlich frohlockte sie, doch ihre Ausbildung im diplomatischen Dienst half ihr, sich nichts anmerken zu lassen.
Keren runzelte die Stirn. Er war so überzeugt, dass die Lichter eine Art Signal für sie gewesen waren. Doch er wusste andererseits, dass sie unmöglich auf eine direkte Frage lügen konnte. Er versuchte es noch einmal.
»Bist du sicher?«, sagte er. »Im Wald bewegten sich
letzte Nacht rote, blaue, gelbe und weiße Lichter. Hast du sie gesehen?«
Alyss war nahe daran zu sagen: »Es war spät. Ich habe geschlafen«, unterließ es jedoch rechtzeitig. Wenn sie die Lichter nicht gesehen hatte, konnte sie auch nicht wissen, wann sie aufgetaucht waren. Ihr wurde klar, dass sie sehr, sehr vorsichtig sein musste. Kerens unablässigen Angriff auf ihren Geist abzuwehren, war äußerst anstrengend und sie musste stets auf der Hut sein.
»Ich habe sie letzte Nacht nicht gesehen«, antwortete sie. Dann fügte sie beiläufig hinzu: »Ich habe sie aber früher einmal gesehen.«
Ihren Blick auf den Edelstein gerichtet, sah sie aus dem Augenwinkel, dass Keren bei diesem Geständnis hochfuhr.
»Wann?«, fragte er sofort. »Wann hast du sie gesehen?«
»Vor etwa zehn Tagen. Will und ich sind in den Wald gegangen. Da waren Lichter.«
Sie wusste, er ahnte, dass sie mit Will im Grimsdellwald gewesen war. Seine Männer hatten sie bei dieser Gelegenheit beschattet. Damals hatten Will und sie natürlich angenommen, es sei Orman, der sie überwachte. Und auch wenn man sie nicht wirklich dabei gesehen hatte, wie sie in den Wald gegangen war oder ihn wieder verlassen hatte, würde Keren dennoch vermuten, dass sie dort gewesen waren. Es wäre nicht schlimm, dies zuzugeben. Es konnte ihn vielleicht sogar von seinem jetzigen Verdacht ablenken.
Er trommelte mit den Fingern auf den Tisch. Je stärker er abgelenkt war, bemerkte Alyss, desto leichter wurde es für sie, ihre Gedanken und Worte zu lenken.
Er versuchte es noch einmal, aber sie merkte, dass er nicht mehr so überzeugt war. »Was bedeuten die Lichter?«
Sie zuckte mit den Schultern. »Ich denke, Malkallam benutzt sie, um die Leute vom Wald fernzuhalten.«
Er trommelte weiter mit den Fingern und sagte wie zu sich selbst: »Ja und das schafft er auch. Keiner meiner Männer will dort hingehen.«
Gut zu wissen, dachte Alyss. Will war mit Orman in diesen Wald geflohen. Sie hätte gedacht, dass Keren Malkallams Spiel durchschauen und ihnen seine Männer auf den Hals hetzen würde.
Keren stieß einen tiefen Seufzer aus. Er war eindeutig beunruhigt. Kein Zweifel, er hatte
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