Die Chroniken von Araluen - Die Belagerung: Band 6 (German Edition)
nicht. Sie planen eine dauerhafte Besatzung, keinen Raubzug. Durch eine Heirat würdet Ihr zudem ein gewisses Einfühlungsvermögen und Verständnis für mich an den Tag legen.«
»Ihr meint«, entgegnete sie kühl, »ich würde mich dazu hergeben, ebenfalls eine Verräterin zu sein?«
Bei diesen Worten zuckte er zurück. »Urteilt nicht zu hart, Alyss. Vergesst nicht, wir würden nicht immer hierbleiben. In Gallica könntet Ihr mit mir eine Freiherrin sein.«
Sie wusste, sie sollte ihn nicht gegen sich aufbringen, sondern ihn bei Laune halten. Doch sein Vorschlag war so unglaublich, dass sie ihre Gefühle nicht unterdrücken konnte.
»Da gibt es nur ein kleines Hindernis«, sagte sie. »Ich liebe Euch nicht. Ich mag Euch noch nicht einmal besonders.«
Er machte eine abfällige Handbewegung. »Ist das so wichtig? Wie viele Ehen habt Ihr innerhalb unserer Schicht gesehen, die auf Liebe gegründet waren? In den meisten Fällen geben ganz handfeste Belange den Ausschlag. Außerdem bin ich doch gar kein so ein schlechter Fang, oder?« Die letzte Frage fügte er in scherzhaftem Ton hinzu.
»Unsere Schicht?«, wiederholte sie. »Ich werde Euch sagen, welcher Schicht ich angehöre. Ich bin eine Waise. Ich habe keine Familie. Ich habe allerdings Menschen, denen ich Treue und Dankbarkeit schulde und die ich liebe. Und als jemand aus einer niedrigeren Schicht sage ich Euch, dass Liebe bei einer Heirat sehr wohl wichtig ist.«
Wütend verzog er das Gesicht. »Es geht um diesen Waldläufer, nicht wahr? Ich wusste doch, dass da etwas zwischen ihm und Euch war.«
Alyss war jahrelang in Diplomatie ausgebildet worden. Doch sie hatte in diesen Jahren auch gelernt, ihren Standpunkt kurz und bündig darzulegen. Jetzt ließ sie jede Diplomatie beseite.
»Das geht Euch nichts an«, erwiderte sie. »Tatsache
ist, dass es wahrscheinlich mehr als ein Dutzend Leute gäbe, die ich eher lieben könnte als Euch. Ritter, Waldläufer, Kuriere, Schmiede, Gastwirte, Stalljungen. Alle miteinander hätten einen großen Vorteil Euch gegenüber. Sie wären keine Verräter.«
Ihre Worte trafen ihn wie ein Peitschenhieb. Vorher war er nur ärgerlich gewesen, doch jetzt war er zornig. Mit steifen Schritten ging er zur Tür. Als er dort angelangt war, drehte er sich zu ihr um.
»Nun gut. Doch vergesst nicht, wenn Ihr auf Händen und Knien im Eisregen in einem skottischen Dorf die Treppen schrubbt oder die Schweine füttert, dass Ihr auch eine Freiherrin hättet sein können!«
Er dachte, damit hätte er das letzte Wort. Doch als er die Tür hinter sich schließen wollte, sagte Alyss leise: »Der Preis wäre zu hoch.«
Keren drehte sich noch einmal um und sie sahen sich in die Augen. In ihren Blicken lag keine Freundlichkeit mehr. Alyss hatte eine Grenze überschritten und es gab kein Zurück mehr.
»Verdammt sollt Ihr sein«, sagte er leise und schloss die Tür hinter sich.
H orace beugte sich über Wills Schulter, um auf die grobe Skizze zu blicken, die sein Freund eben fertiggestellt hatte.
Er runzelte die Stirn. Wills Zeichnung sah ganz nach einem umgedrehten Handkarren aus.
»Was hältst du davon?«, fragte Will.
»Ich verstehe es nicht.«
Will deutete mit der Zeichenkohle auf die hervorstechenden Merkmale der Zeichnung. »Es ist eigentlich ganz einfach. Da sind die Räder. Darunter befinden sich die Achsen und ein Rahmen und darüber ist ein schiefes, mit Planken belegtes Dach. Wir verstecken uns darunter und schieben das Ding.«
»Warum verstecken wir uns darunter?«, fragte Horace.
»Weil wir sonst ungeschützt wären und von Steinen und Pfeilen und Speeren getroffen werden könnten«, erklärte Will bissig. Er sah Horace mit hochgezogenen Augenbrauen an, doch der ratlose Blick seines Freundes war weiter auf die Zeichnung gerichtet.
»Das Gute an dem Karren ist«, fuhr Will fort, »dass wir ihn innerhalb weniger Minuten zerlegen und wieder zusammenbauen können.«
»Tja, das ist auf jeden Fall ein Vorteil«, erwiderte Horace. Sein Tonfall verriet, dass er diesen Vorteil ganz und gar nicht erkennen konnte.
Will setzte sich mit einem Seufzer zurück. »Es macht dir Spaß, kritisch und ablehnend zu sein, was?«, fragte er.
Horace breitete die Arme in einer Geste der Hilflosigkeit aus.
»Will, ich habe nicht die geringste Ahnung, was du mit diesem … Ding im Sinn hast. Bitte vergiss nicht, dass ich ein einfacher Soldat bin. Ein Haudegen, wie du und Walt immer zu sagen pflegten. Du zeigst mir eine Zeichnung, die aussieht wie
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