Die Chroniken von Araluen - Die Schwertkämpfer von Nihon-Ja
seicht, und war aus dem Boot geklettert, nur um sich fast bis zum Bauchnabel im Wasser wiederzufinden. Ihre Kleidung hatte sie in dieser Nacht vor dem Lagerfeuer trocknen müssen. Seit der Begegnung mit den Wölfen ließen die beiden Mädchen die ganze Nacht ein Feuer brennen und wechselten sich bei der Wache ab.
Ob es nun am Feuer lag oder nicht, es hatte seit dieser zweiten Nacht keine weiteren Störungen mehr gegeben. Natürlich konnte es auch einfach daran liegen, dass es auf den anderen Inseln keine Wölfe gab.
Jetzt prüfte Evanlyn mit ihrem Paddel zuerst die Wassertiefe. Zufrieden, dass das Wasser kaum knietief war, schwang sie ihre Beine über die Seite und kam dann schnell zum Stehen, um das Kajak das restliche Stück zum Kiesufer zu ziehen. Sie hatten inzwischen gelernt, das kleine Boot unbesetzt an Land zu bringen. Am dritten Abend waren sie nämlich bis weit ans Ufer gepaddelt und hatten damit ein Leck in die Ölhaut gerissen.
Alyss hatte zugesehen, wie Evanlyn mit einem Stück Reserveöltuch einen Fleck über das Loch genäht und dann den Saum mit geschmolzenem Wachs versiegelt hatte.
»Sehr gut«, hatte sie beifällig gesagt.
Evanlyn hatte schmunzelnd mit der Nadel herumgefuchtelt.
»Stickerei gehört zu den Fertigkeiten, die als passend für eine Prinzessin angesehen werden. Ich hätte nie gedacht, dass mir das mal so nützen würden.«
Alyss beobachtete sie jetzt, während sie die Wassertiefe prüfte und sich dann aus dem Boot schwang. Fast widerwillig bewunderte sie die Fähigkeit der Prinzessin, sich anzupassen und zu lernen. Alyss war mit ihr ziemlich streng gewesen, als sie ihr beibrachte, wie man das kleine Boot handhabte. Das lag zum Teil an der Abneigung, die sie immer noch gegenüber Evanlyn empfand, hauptsächlich geschah es jedoch aus praktischen Überlegungen heraus.
Alyss wusste aus ihren Unterhaltungen mit Will und Lady Pauline wie auch aus eigenen Beobachtungen, dass Evanlyn, so mutig und einfallsreich sie war, auch eine launenhafte Seite hatte. Kein Wunder, wenn man als Prinzessin aufwuchs, in einer Umgebung, wo es jede Menge Leute gab, die schon aufsprangen, wenn man nur mit dem kleinen Finger zuckte, und die einem jeden Wunsch erfüllten. Aber auf dieser Reise durfte es keine Herrin und Dienerin geben. In dem Augenblick, in dem sie Mitgefühl für Evanlyns schmerzende Muskeln gezeigt hätte oder ihre tollpatschigen Versuche beim Paddeln mit einem gutmütigen Lachen abgetan hätte, wäre Evanlyn möglicherweise versucht gewesen, das auszunutzen. Stattdessen hatten Alyss’ bissige Kommentare für Evanlyn als Ansporn gedient. Sie hatten dazu geführt, dass sie es besser machen wollte, dass sie mehr Einsatz brachte, um ihrer selbstbewussten Reisegefährtin zu zeigen, dass sie – Prinzessin hin oder her – der übernommenen Aufgabe gewachsen war.
Alyss war so in ihre Gedanken versunken, dass sie diesmal beinahe selbst das Boot zu spät verlassen hätte. Evanlyn wartete nur auf einen Anlass, sich zu revanchieren, daher schwang sie sich rasch aus dem Boot und half der Prinzessin, es hoch ans Ufer zu ziehen.
Dann streckten sie sich beide, um ihre verkrampften Muskeln zu lockern. Alyss machte ein paar Schritte vom Ufer weg, sah sich um und ließ den Blick über den nahe gelegenen Wald schweifen.
»Das ist es nun also«, stellte sie fest.
Sie hatten endlich die andere Seite des riesigen Sees erreicht. Dies war die Provinz, wo jener Nimatsu über die geheimnisvollen und sagenumwobenen Hasanu regierte. Es lag Schnee, wenn auch nicht so viel wie in Ran-Koshi. Sie befanden sich nicht mehr so hoch oben in den Bergen und hier herrschte ein milderes Klima.
Das Gebiet wurde von den Bergen abgeschirmt, dadurch war der Wind sanfter und nicht so beißend. Weich fuhr er nun durch die Nadeln der Fichten, die hoch über ihnen aufragten.
»Es scheint niemand hier zu sein«, meinte Evanlyn.
»Das heißt natürlich nicht, dass keiner da ist.«
»Natürlich nicht.«
Evanlyn verspürte eine gewisse Anspannung, während sie an diesem ruhigen, anscheinend verlassenen Ort stand. Sie und Alyss hatten Shigeru und seine Ratgeber über die Hasanu ausgefragt, aber eigentlich nur sehr wenig erfahren.
Manche hielten sie für die letzten Vertreter einer alten Rasse, die halb Mensch, halb Affe war und nur in dieser abgeschiedenen Gegend überlebt hatte. Andere, weitaus furchteinflößendere Erklärungsversuche besagten, dass die Hasanu Baum- oder Waldgeister waren und der sehr zurückgezogen lebende
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