Die Chroniken von Ninavel – Die Blutmagier
Ich schaute die helle Linie des Weges entlang. Ungefähr eine Meile voraus waren Felsbrocken heruntergekommen und blockierten die Weiterfahrt. Einige waren größer als ein Wagen.
Ich machte mich daran, Haken in Felsrisse zu schlagen, um mich abseilen zu können. Dabei kehrten meine Gedanken schleichend zu Pello und Kiran zurück. Als ich mich hinauslehnte, um das Seil hinunterzuwerfen, stutzte ich. Das Dickicht unterhalb des Konvois lag inzwischen in tiefem Schatten, aberein paar kreisförmige Flecken waren unnatürlich dunkel, als ob die Büsche selbst schwarz geworden wären. Ich kniff die Augen zusammen, um mehr zu erkennen, doch das Licht war zu schwach. Ich gab auf und griff nach dem Seil. Die Gelegenheit, sich das anzusehen, würde sich noch ergeben, wenn wir am Morgen zum Wasserholen gingen.
Als ich am Vorreiterwagen anlangte, wich die letzte Dämmerung der Dunkelheit. Am Osthimmel war das Gewitter noch zu sehen, aber weit genug entfernt, dass nur lautlose Blitze den Horizont erhellten. Über mir gingen zwischen vereinzelten Wolkenstreifen die ersten Sterne auf. Cara richtete sich von einer Laterne auf, in der sie die Kerze angezündet hatte, und klatschte in die Hände. »Na immerhin ein Bier hast du gewonnen. Harken und Jerik kramen gerade unsere Abendrationen hervor.«
»Du wirst mit Meldon reden wollen. Eine Meile weiter vorn liegen große Felsbrocken auf dem Weg. Dauert vermutlich den halben Vormittag, sie wegzuräumen.« Ich streifte den Rucksack ab und versuchte, mich nicht allzu auffällig nach Kiran umzusehen.
»Das war klar, nach diesem Gewitter.« Cara schaute zu der Felsnadel, die der Blitz getroffen hatte und die sich als schwarzer Schattenriss vom Nachthimmel abhob. Wir hockten uns neben die Laterne, und ich machte mit ein paar Strichen am Boden deutlich, wo der Steinschlag heruntergekommen war und welches Ausmaß er hatte.
Cara stand auf und wischte sich die Hände ab. »Dann gehe ich mal zu Meldon und sag ihm Bescheid, bevor ich esse. Ach, und der Junge ist wohlbehalten zurückgekehrt. Er hat deine Sachen zu eurer Zeltplane gebracht. Schien mir ein bisschen wacklig auf den Beinen zu sein. Meinst du, du gibst ihm genug zu essen?«
»Das ist bloß die Erschöpfung. War ein langer Tag für einen Jungen aus der Stadt.« Vor lauter Erleichterung klang ich unbeschwert. Mit der Gunst Khalmets mochte es Kiran sogar gelungen sein, Pello auszuweichen. Ich würde Cara möglichst unauffällig nach dessen Stippvisite aushorchen müssen.
»Morgen früh wird er ausschlafen können. Ich bezweifle, dass wir vor Mittag weiterfahren.« Cara sah mich prüfend an. »Du siehst auch aus, als könntest du eine Mütze voll Schlaf gebrauchen.«
»Kann nichts dafür, wenn Kellan schnarcht.« Das war nicht ganz gelogen. Er schnarchte zwar nicht, schlief aber unruhig, warf sich viel herum und seufzte und wimmerte. Demnach waren seine Träume nicht viel spaßiger als meine.
Schmunzelnd machte sie sich auf zu Meldon. Ich eilte zu unserer Zeltplane. Als ich mich darunter duckte, beschien eine Laterne unsere Schlafdecken, die neben unserem persönlichen Gepäck ordentlich ausgelegt waren. Kiran saß im Schneidersitz daneben und starrte auf seine im Schoß gefalteten Hände. Er hob den Kopf, als ich mich gegenüberhockte. Cara hatte recht. Er sah wacklig aus, aber schon besser als bei dem Gewitter.
»Was in Khalmets Namen ist mit dir passiert?«, wollte ich wissen.
Sein Blick glitt zur Seite. »Nichts. Ich kann nur Gewitter nicht leiden.«
»Ach nee«, sagte ich gedehnt. Er reckte das Kinn, und kurz bekam ich die übliche Arroganz der Nobelleute zu sehen. Nach seinem sturen Gesichtsausdruck zu urteilen würden eher die Gipfelgletscher abschmelzen, als dass er sich zu einer Erklärung herabließe. Ich umklammerte meine Knie, damit ich ihn nicht packte und schüttelte. »Weißt du noch, dass du zugestimmt hast, dich unauffällig zu verhalten und in meiner Nähe zu bleiben? Habe ich mich unklar ausgedrückt? Oder heißt unauffälliges Verhalten in der Sprache der Noblen, vor den Augen des halben Konvois schreiend vor einem Gewitter wegzurennen?«
»Ich bin nicht …!« Er stockte so abrupt, als hätte er sich die Zunge abgebissen, und senkte den Blick. Dann klang er sehr beherrscht. »Wie viele Schwierigkeiten wird das hervorrufen?«
»Hat Pello dich gefunden? Überhaupt mit dir gesprochen?«
Er schüttelte den Kopf. Ich war erleichtert, aber darum nicht weniger aufgebracht. »Es hätte aber leicht dazu kommen
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