Die Chroniken von Ninavel – Die Blutmagier
werde ihn schützen. Der nächste Blitz schlug noch näher ein. Seine Kräfte schlugen gegen Kirans Barriere. Er barg den Kopf zwischen den Armen und unterdrückte einen Aufschrei. Was es auch kostete, er musste vor Ruslan verborgen bleiben.
DEV
Draußen tobte das Gewitter. Es regnete nicht, doch es blitzte in einem fort, und immer wieder gingen heftige Hagelschauer nieder. Der Himmel war so dunkel, dass ein abendliches Zwielicht herrschte, obwohl es bis Sonnenuntergang noch ein paar Stunden hin war. Die Donnerschläge hallten in der Schlucht. Ich hielt ein Auge auf die Felswand gerichtet, ob sich Steinschlag ankündigte.
Neben mir hockte Kiran und ließ den Kopf zwischen den Knien hängen, sodass nur sein braun gefärbter Haarschopf zu sehen war. Schon ehe das Gewitter losbrach, war er nervös gewesen wie ein getretenes Fohlen, hatte es aber noch zu überspielen versucht. Und als ich ihn unter die Zeltplane zog, hatte sich sein Arm angefühlt wie ein Spannseil. Er redete kein Wort, sondern blieb in sich gekehrt.
Als der nächste Blitz alles beleuchtete, fiel mir auf, dass Kiran zitterte. Sieh mal an. Ich hatte schon Kinder und Tiere bei Gewitter zittern sehen, aber noch keinen erwachsenen Mann, egal ob jung oder alt. Andererseits hatte ich mal einen Vorreiter gekannt, der sich vor den harmlosen Eidechsen fürchtete, die sich an den Hofmauern in Ninavel sonnen. Ihm war klar gewesen, wie lächerlich das war, aber er hatte nichts dagegen tun können.
Vielleicht war Kiran auch so ein Fall. Oder das war Teil des Rätsels. Ich hätte zu gerne schon an der Lösung gebastelt, aber was ich bislang über ihn und den Auftrag wusste, passte überhaupt noch nicht zusammen. Was mich wirklich verwirrte, war seine offensichtliche Naivität hinsichtlich der Geheimhaltung. Es sei denn, das war ein Probelauf – vielleicht wollten seine Vorgesetzten wissen, ob sich jemand reibungslos über die Grenze schmuggeln ließe, und wollten erst mal einen Erfolg sehen, bevor sie ihren eigentlichen Plan durchzögen. Aber wenn sie jemand Verzichtbares schickten, warum dann einen Noblen? Warum keinen Mann von der Straße, der auf Bares aus war und von ihren Geschäften mit Sicherheit keinen blassen Schimmer hatte? Wenn ich dagegen Brens Anweisungen bedachte, konnte einem der Gedanke kommen, dass es in Ninavel jemanden gab, der Kiran loswerden wollte, dem es egal war, ob er den wütenden Alathern in die Hände fiel und unter ihrem Wahrheitszauber sang wie ein Vögelchen.
Ein Blitz schlug in eine Felsnadel ein, die wie ein gebrochener Finger vom Kamm in die Schlucht ragte, und war so grell, dassich Nachbilder sah. Als es donnerte, fuhr Kiran heftig zusammen. Ich hörte, wie ihm der Aufschrei im Halse stecken blieb, aber den Kopf hob er nicht.
Eine Wolke Steinstaub stieg von der Felsnadel auf, und enorme Brocken polterten die Wand herab, was noch mehr Steinstaub aufwirbelte. Es roch scharf nach Feuerstein. Ich hustete und versuchte, den Geschmack loszuwerden, ehe er üble Erinnerungen weckte. Gut, dass Kiran das nicht gesehen hatte. Wenn ihm das Gewitter schon solche Angst machte, wollte ich lieber nicht sehen, wie er reagierte, wenn er begriff, wie schutzlos wir auf unserer Seite der Schlucht Steinschlägen ausgeliefert waren. Als ich darüber säuerlich in mich hineingrinste, krachten die Felsbrocken auf die Geröllhalde am Grund der Schlucht. Das knirschende Poltern mischte sich mit dem nächsten Donnerhall.
Allmählich zog das Gewitter nach Osten ab und nahm das Lichtspektakel mit. Es ging noch ein Hagelschauer nieder, bei dem die Pferde aufgebracht schnaubend die Köpfe schüttelten, trotz Harkens Beruhigungsmittel, aber danach brachen die Wolken auf. Vorsichtig streckte ich den Kopf nach draußen. Die Sonne war inzwischen hinter den Gipfeln verschwunden, und die Gebirgssilhouette zeichnete sich scharf gegen einen rosaroten Himmel ab.
Wegen der Biegungen der Silberaderschlucht war von der Stadt nichts mehr zu sehen. Im Osten war der Himmel schwarz. Immer wieder blitzte es dort in den Wolken, und man hörte den Donner grollen. Die Leute in der Stadt würden heute Abend was erleben. Für diese Jahreszeit war das Gewitter ungewöhnlich heftig gewesen. Solche Ausmaße nahmen sie erst im heißen Spätsommer an. Aber natürlich weiß jeder Vorreiter, dass man im Gebirge vor Überraschungen nie sicher ist.
Ich zog mich unter die Zeltplane zurück. »He, das Gewitter ist vorbei.«
Als Kiran den Kopf hob, schnappte ich erschrocken nach Luft.
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