Die Chroniken von Waldsee Trilogie Gesamtausgabe: Dämonenblut Nachtfeuer Perlmond (German Edition)
höhere Sache einzusetzen.
Noïruns Stimme erklang wieder. »Jeder von uns hat gestern einen Freund, Geliebten, Blutsverwandten verloren. Einen verlässlichen Kameraden, mit dem man lachte und weinte, trank und sang.
Jeder einzelne Kämpfer für Ardig Hall starb in Ehren, und in dem Bewusstsein, dass sein Opfer nicht umsonst war, sondern unseren Kampf einen Schritt weiter nach vorn brachte.
Die Verluste sind groß, doch die Wunden werden heilen, auch wenn sich die Lücken niemals gänzlich schließen werden, und mögen wir noch so viel Verstärkung bekommen.
Ja, wir haben verloren. Doch einen Sieger gibt es nicht, denn der Feind hat einen noch größeren Verlust davongetragen, und einer trifft ihn besonders schmerzlich: Sein Heermeister, der bedeutendste Anführer, über den er verfügte, und der uns Angst und Schrecken einjagte und als unüberwindlich galt. Ihn zu ersetzen, dürfte Femris kaum möglich sein. Nun wird er selbst eingreifen müssen, um seinem Geschick noch eine günstige Wendung geben zu können.
Und trotzdem haben wir verloren.«
Nochmals machte Noïrun eine kurze Pause, und ein Glanz trat in seine Augen, der noch bis weit in die hinteren Reihen zu sehen war. Dann hob er leicht den Arm, ballte die Faust und führte den Satz mit starker Stimme, die nicht mehr weitergetragen werden musste, zu Ende:
»Aber nicht die Hoffnung!«
Der Fürst schüttelte nachdrücklich die Faust. »Nein, die Hoffnung haben wir nicht verloren, das werden wir auch niemals!
Ein Jahr schon halten wir unsere Stellung, ein Jahr lang ist es dem Feind nicht gelungen durchzubrechen! Und gestern standen wir kurz davor, Femris zu überwinden! Wir mussten im Unentschieden voneinander weichen, und der Feind mag dies vielleicht als Sieg für sich werten, aber er wird keine Gelegenheit bekommen, ihn zu feiern. Seht doch selbst, wie verzweifelt er inzwischen sein muss, wenn er bis jetzt noch nicht einmal Aufstellung genommen hat! Wir werden den Moment nutzen! Wir werden vollenden, was Tamron, Morwen und Rayem gestern beinahe gelungen wäre: den Durchbruch durch die feindlichen Linien. Und wir werden Femris vor die Füße spucken, bevor wir ihm den Splitter abnehmen und ihn dann in einen finsteren Abgrund stürzen, dessen glatte Wände er niemals mehr erklimmen soll!«
»Alay!«, brüllte daraufhin die zusammengeschrumpfte Garde, und dann donnerte das gesamte Heer: »ALAY!«
Noïrun hob die Hand, und es wurde wieder ruhig. Er drehte sich kurz um und gab jemandem hinter Rowarn ein Zeichen. Kurz darauf traten mehrere Soldaten mit Musikinstrumenten vor – Flöte, Geige, Laute und Armharfe, und zu Rowarns Erstaunen hielt auch Olrig plötzlich ein Zupfinstrument in Händen. Auf einen Fingerzeig fingen sie gemeinsam an zu spielen. Noïrun setzte den Helm ohne Visier auf, und dann sang er im unerwartet weichen Bariton, begleitet von der Musik und bald auch von vielen Stimmen, den Großen Totengesang, den einst Lichtsänger, der große Held der Velerii, am Ende der Titanenschlacht um Waldsee vorgetragen hatte, als es nur noch Tote und Trauer gab und niemand mehr zu kämpfen vermochte.
»Die Sonne brennt am Himmel, hoch und groß und weit
Wolkenscharen zieh'n geballt vorbei
in Wald und Wiese träumen tausend Bienen, frei wie Adler zu sein
und Adler ziehen einsam, wollen Bienen sein.
Und so brennt die Sonne, ich kann sie nicht erreichen
und ich träume fern, ein Stern zu sein.
Doch da steigt die Sonne in den Westen hinab,
alt und schwer und rot von Blut
Elfen des Zwielichts bereiten ihr Bett
mit tausend Blumen, und Glocken dazu
doch tief ist das Meer, kein Licht hat der Grund.
Und so brennt die Sonne, ich kann sie nicht erreichen
und ich träume fern, ein Stern zu sein.
Und Verliebte wandeln Hand in Hand, wartend auf die Nacht,
und da sinkt sie schon nieder, geleitet Kinder zu Schlaf und Traum
mit sterbend zarten Fingern, rosaweich und warm.
Hoch oben erstrahlt Ishtrus Träne
tief unten verblasst eine Blume
Könnt ich einmal noch ihr nahe sein
ich wollte träumen nimmermehr ...
Nun legt die Sonne sich zur Ruh
Gebettet in Wolken, Moos und Erde
Tod kommt herbei im blendenden Blitz
löscht aus das Licht, es ist vorbei.
Könnt ich einmal noch ihr nahe sein
ich wollte leiden nimmermehr ...
Fort ist die Sonne, mit ihr das Licht
alles ist dunkel.
Gebunden in Furcht, Angst und Trauer
die Sterblichen sind, die Erschaffnen und die Gebornen
versinken in Leid und Not.
Könnt ich einmal noch ihr nahe
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