Die Chroniken von Waldsee Trilogie Gesamtausgabe: Dämonenblut Nachtfeuer Perlmond (German Edition)
mitbekommen. Angmor hat mir alles erzählt. Ich bin gestern Nacht erwacht, und wir haben bis heute früh geredet. Wir sind dir alle zu großem Dank verpflichtet, aber das weißt du bereits. Informiert bin ich also, und gut erholt zudem.«
»Ich bin froh darüber«, sagte Rowarn. »Es ist so wichtig, Zeichen zu setzen. Wir werden unsere Niederlage in einen Sieg verwandeln, nicht wahr?«
»Aber gewiss, Rowarn. Und ich werde tun, was ich kann, denn ich stehe tief in deiner Schuld. Ich verdanke dir mein Leben.« Tamron legte ihm die Hand auf die Schulter. »Wir sehen uns noch.«
Am sechsten Tag nach Rowarns Ankunft starb der Poet. Rowarn hatte den alten Mann noch einmal im Park besucht und gemerkt, wie hinfällig er plötzlich geworden war. Sein Körper war zusammengeschrumpft, wie ein Kind hing er eingesunken in der Stuhlsänfte, halbwegs verschwunden in den wärmenden Decken. Die Träger würden sein Gewicht kaum mehr spüren. Aber sein Geist war immer noch hellwach, und er freute sich, dass Rowarn sich zu ihm setzte.
»Heute bist du dran, mir eine Geschichte zu erzählen«, sagte er mit dünner, zittriger Stimme.
»Deswegen bin ich hier«, sagte Rowarn. Er erzählte von seiner Kindheit und den Velerii. Vom Heranwachsen der Fohlen und vom Frühling in Inniu. Und dann erzählte er, was seit dem vergangenen Winter geschehen war, und von seiner großen Reise. Rowarn sprach lange, und der Greis hörte still zu, mit einem Leuchten in den müden Augen.
Zum Schluss ergriff er Rowarns Hand und drückte sie fest. »Nun habe ich alles für die Reise«, flüsterte er.
Rowarn führte die Hand, knochig, trocken und dünn wie Pergament, kurz an seine Wange und ging.
Rianda benachrichtigte ihn am darauffolgenden Vormittag, dass der Poet friedlich entschlummert und bereits gesalbt und begraben sei. Sie überreichte ihm eine kleine weiße Feder und eine Pergamentrolle, was beides nach Anweisung des Poeten für ihn bestimmt sei. Rowarn nahm es gerührt in Empfang und entrollte das hauchfeine Papier, auf dem in leicht zittriger, aber schön geschwungener Hochschrift stand:
Aber der Kranich fliegt höher .
Er schüttelte lächelnd den Kopf und ging zum Farnbaum, neben dem nun ein kleiner, mit einem Buschfarn frisch bepflanzter Hügel lag. Tief hatten die Helfer wahrscheinlich nicht mehr graben müssen, um den zum Kind geschrumpften Verstorbenen aufrecht sitzend, das Gesicht nach Westen gerichtet, zu betten. Rowarn sprach ein stilles Gebet für den Mann, mit dem ihn eine kurze, aber deswegen nicht weniger innige Freundschaft verbunden hatte, und wünschte ihm eine gute Reise. Er faltete das Pergament zusammen, steckte die Feder hinein, legte ein kleines Tuch darum und verstaute es in seinem Wams. Von nun an trug er es immer bei sich.
Als er anschließend zum Haus zurückkehrte, wartete eine große Überraschung auf ihn.
Unbemerkt, wahrscheinlich auch von Westen her über Farnheim-Markt, hatten sich Reiter genähert, die soeben von Rianda als Gäste begrüßt wurden.
Rowarns Herz machte einen Riesensatz, als er Noïruns vertraute Stimme hörte und gleich darauf Olrigs dröhnenden Bass. Er lief los, rannte ums Haus, doch dann stockte er, als wäre er gegen eine Mauer gerannt. Die Hand zuckte zum Schwertgriff, bis ihm einfiel, dass er gar keine Waffe trug. Aber die brauchte er auch nicht.
»Weg von meinem Fürsten!«, fauchte er Gonarg an, der neben Noïrun und Olrig stand.
Der Fürst und der Kriegskönig, die ihn freudig lächelnd begrüßen wollten, starrten ihn überrascht an. »Das ist in Ordnung, Rowarn«, sagte Noïrun und hob beruhigend eine Hand. »Ragon ist einer von uns.«
Rowarn ging langsam auf den Einäugigen zu. »Ich kenne ihn unter anderem Namen«, zischte er. »In Heriodons Lager.«
»Ja, als Gonarg«, bestätigte Noïrun. »Er steht unter diesem Namen in Femris’ Diensten.«
Nun endlich hielt Rowarn inne. Ungläubig blickte er vom Fürsten zu Ragon.
»Es tut mir leid, Rowarn«, sagte der Einäugige. »Ich konnte es dir nicht sagen, so schwer es mir auch fiel.«
»Du hast deine Rolle sehr überzeugend gespielt«, stieß Rowarn bitter hervor. Zum Fürsten sagte er: »Wie kannst du seiner so sicher sein, wenn er für beide Seiten arbeitet?«
»Ich bin mir sicher«, sagte Noïrun ruhig. »Habe ich mich je geirrt, Rowarn?«
Der junge Ritter konnte nicht antworten, die Wut kochte heiß in ihm.
Ragon hob eine Hand. »Lasst es mich ihm erklären, bitte.« Er blickte Rowarn offen ins Gesicht. »Nach dem
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