Die Chroniken von Waldsee Trilogie Gesamtausgabe: Dämonenblut Nachtfeuer Perlmond (German Edition)
See gesprungen und hinabgetaucht, an die Grenze von Licht und Tiefe, umgeben von einer schwerelosen Welt, in der jede Richtung möglich war.
Als Rowarn die Augen wieder öffnete, war es bereits Nacht. Eine Weile lag er nur da und lauschte. Im Haus war alles still. Langsam bewegte er Arme und Beine, brachte das Blut wieder zum Zirkulieren, stand auf und trat ans Fenster.
Auch dort draußen regte sich nichts, und es war sehr dunkel. Die Sterne konnten das Blätterdach kaum durchdringen, und der Mond war derzeit zu dünn, um hierher zu reichen.
Er öffnete das Fenster weit und saugte die nächtliche Luft tief in seine Lungen. Dies war eine ganze andere Luft als am Tage. Sie kannte kein Licht, und ihre Gerüche, die sie überall einsammelte und mit sich nahm, waren intensiver und unverfälschter. Eine einzelne Träne rollte über Rowarns Wangen; er bemerkte es nicht. Lange stand er da und blickte hinaus.
Nachdem seine Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten, konnte er allmählich leichte Konturen ausmachen. Blätter, die sich sacht bewegten und hie und da für kurze Zeit einen hauchdünnen Strahl hindurchließen. Es war kaum mehr als ein Staubglitzern der fernen Sterne, doch Rowarn reichte es aus, um den schmalen Schatten einer Ginsterkatze zu entdecken, die unter dem Laubvorhang entlangschnürte, auf der Suche nach unvorsichtigen Mäusen.
Während er so still verharrte, hörte er auch bald das zarte Knistern und Knuspern der Schmetterlingsraupen, die sich gierig über das junge Grün hermachten. Auf einem kleinen Ast knackte es, dort bekämpften sich zwei Hirschkäfer mit ihren mächtigen Geweihzangen. Sie waren so hitzig und vertieft, dass sie den Halt verloren und ineinander verklammert auf den Boden herabstürzten, wo sie sich ohne Verzögerung heftig weiter duellierten.
Flinkhörnchen huschten sich gegenseitig jagend den riesigen Baumstamm entlang; zwischendurch, wenn eines »gefangen« wurde, gab es einen keckernden Laut von sich, halb erzürnt, halb erleichtert. Gleich darauf ging die wilde Jagd weiter.
Noch vor zählbaren Nächten, als der Mond sich füllte und das Fest vorbereitet wurde, hatte Rowarn auch hier gestanden und in romantischen Träumen versunken dem munteren Frühlingstreiben zugesehen. Seufzend hatte er sich gefragt, ob Anini, die er schon lange bewunderte, ihn eines Tages erhören würde. Oder vielleicht auch nur bemerken.
Das schien nun weit entfernt in einem anderen Leben geschehen zu sein. Damals war Rowarn noch ein unschuldiger, ja naiver junger Mann gewesen, der seinen Herzkummer für das schlimmste aller Probleme gehalten hatte. Damals hatte er nicht erkannt, wie wahrhaftig glücklich er gewesen war, weil er noch nicht wusste.
Doch diese Zeit war vergangen, für immer. Er hatte eine Schwelle überschritten, und die Tür war hinter ihm zugefallen und hatte sich aufgelöst. Nun träumte er nicht mehr von Abenteuer- und Heldengeschichten. Er war mittendrin.
Die ganze Nacht stand Rowarn am Fenster und dachte nach. Erst, als sich schon das erste fahle Licht am Himmel zeigte, fand er endlich den Weg ins Bett. Kaum dass er die Augen geschlossen hatte, schlief er ein und versank in tiefem, traumlosem Schlummer.
Die Entscheidung war gefallen.
Kapitel 5
Blutschuld
Als Rowarn erwachte, war der Vormittag bereits vorangeschritten. Er fand im Wohnraum eine kleine Mahlzeit bereitgestellt; von seinen Muhmen keine Spur. Sie waren wahrscheinlich auf den Weiden unterwegs, um nach neugeborenen Fohlen zu sehen.
Umso besser. Rowarn war dankbar dafür, denn er wollte noch nicht mit ihnen reden. Im Augenblick stand vieles zwischen ihnen, was er erst verarbeiten musste, wie beispielsweise ein Nauraka zu sein, Nachkomme eines im Meer lebenden Volkes. Und er wollte nicht beeinflusst werden in seiner Entscheidung. Oder daran gehindert werden, nach Madin zu gehen, was er heute vorhatte. Verbot hin oder her.
Er verspeiste sein Morgenmahl und machte sich auf den Weg, nahm die Abkürzung am See entlang und direkt durch den Wald, dann über die Wiesen. Allerdings machte er einen Bogen um den Hügel, wo Anini gestorben war. Bald sah Rowarn die dünn rauchenden Kamine der Stadt vor sich.
Auf der Handelsstraße herrschte geschäftiges Treiben, und Rowarn mischte sich darunter. So würde es nicht auffallen, wenn er Madin betrat. Die Marktstadt besaß keine Befestigungsmauer, daher auch kein Tor und keine Wachen. Jeder konnte ungehindert hinein und hinaus. Das abgeschiedene Tal Inniu hatte keine
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