Die Chroniken von Waldsee Trilogie Gesamtausgabe: Dämonenblut Nachtfeuer Perlmond (German Edition)
bleiben und dem Klang der rauen, melancholischen Stimme zu lauschen.
»›Komm zu mir und halte mich,
mein Lieb, denn verlassen muss ich dich.
Doch geh ich ohne Furcht und Not,
denn siehe, dort ist schon das Abendrot,
so geht meine Sonne unter im Meer des Lebens.‹
So hörte ich sie sprechen und such nun vergebens,
an den Klang ihrer Stimme mich zu erinnern
versuche, hoffe und verlange zu verstehen,
warum gerade sie es war, die musste gehen,
und ich höre in mir nur mein eignes Klagen und Wimmern
und nie mehr ihr sanftes Lachen, voll des Lebens.
›Komm zu mir und halte mich,
mein Lieb, denn verlassen muss ich dich.
Doch geh ich ohne Furcht und Not,
denn siehe, dort ist schon das Abendrot,
so geht meine Sonne unter im Meer des Lebens.‹
Wo mag sie sein, wo mag sie sein?
Die Helfer trugen sie fort im göttlichen Schein
doch nicht Licht ist’s, was mich erfüllt, sondern Schatten,
und so harre ich und kann nicht anders als warten.
›Komm zu mir und halte mich,
mein Lieb, denn verlassen muss ich dich.
Doch geh ich ohne Furcht und Not,
denn siehe, dort ist schon das Abendrot,
so geht meine Sonne unter im Meer des Lebens.‹
Mag sie warten an den Silbernen Gestaden,
so werd ich einst dort nach ihr suchen,
und ich will hier nicht mehr länger klagen
werd auch im Träumen nicht nach ihr rufen.
Dies ist, was uns ausmacht, Fleisch und Blut
und eine Seele, die in der Ferne ruht
so wie auch ich dereinst, wenn ich geh ohne Furcht und Not,
sobald ich sehe das Abendrot.«
Noïrun neigte den Kopf, während der Klang seiner Worte verging, und flüsterte: »Ich weiß, es geht dir dort gut, wo du jetzt bist, Delema, und verzeih mir, dass ich dennoch jedes Jahr an diesem Tag deiner gedenke. Dies ist mein Versprechen, das ich dir gab, vor langer Zeit.«
Rowarn kniete mit klopfendem Herzen neben ihm nieder. Auf seltsame Weise empfand er Trauer, doch zu seinem Erstaunen sah er keinen Schmerz auf dem Gesicht des Fürsten, sondern eine entspannte Ruhe und Ausgeglichenheit, als wäre dies ein Ritual, um aus der Tiefe neue Kraft zu schöpfen. »Verzeih, dass ich dich störe«, sagte er scheu. »Du wolltest allein hier sein.«
»Du störst mich nicht, Rowarn«, sagte Noïrun friedlich und in ungewohnter Sanftheit. Er streute neue Kräuter in die Schale, ließ Wachs hineintropfen und hielt die Flamme daran, bis sich feine weiße Rauchfäden herauskräuselten. »Delema hatte immer gern Menschen um sich, und es hätte sie amüsiert, dass jemand meinem Gesang zuhört, anstatt sich die Ohren zuzuhalten.«
»Aber du singst doch sehr schön«, meinte Rowarn schüchtern. »Und das Lied hat mich berührt.«
»Ich habe es für sie gesungen, als ich sie zu Grabe trug«, sagte Noïrun. »An einem Tag wie diesem, der heiter war und unbeschwert. Ein Lächeln lag auf ihrem Gesicht, wobei ich mir bis heute nicht sicher bin, dass nicht auch ein wenig Spott dabei war. Wenn sie hier wäre, würde sie sich vermutlich über meine sentimentalen Anwandlungen lustig machen. Aber ich brauche dies, wenigstens an einem Tag im Jahr: mich nur auf mich selbst zu besinnen und auf meine Gefühle. Erst recht, nachdem ich dem Tode erst vor kurzem so nahe kam und mich ihm gleich wieder entgegenwerfe.«
Eine Weile verharrten sie in stiller Versunkenheit. »Ich weiß so gar nichts über dich«, sagte Rowarn schließlich leise. »Nach dieser langen Zeit.« Er starrte auf seine Finger, die nicht so recht wussten, was sie tun sollten und nervös flatterten. »Ich sollte das vielleicht nicht sagen, aber du stehst mir näher als mein Vater.« Unruhig schnippte er ein herabrieselndes Blatt weg. »Ich bin ein Halbdämon, aber ... er ist mir so fern und unverständlich. Er lebt schon so lange und hat viele Dinge gesehen, die ich nicht einmal annähernd erfassen könnte, selbst wenn ich so alt würde wie er. Uns trennt die Zeit und seine furchtbare Macht. Ich liebe und fürchte ihn zugleich, doch ich fühle mich ihm nicht so verbunden wie dir.«
Noïrun schwieg. Sein Blick ging in die Ferne. Nach einer Weile begann er: »Ich bin sechsundvierzig Jahre alt und habe drei eheliche Kinder. Einen Sohn und eine Tochter aus erster Ehe und einen Sohn aus zweiter, der vielleicht gar nicht meiner ist. Er dürfte etwa acht oder neun Jahre alt sein. Er war noch sehr klein, als ich ... ging. Meine erste Frau ... Delema ... der Name bedeutet Frühlingserwachen im alten Dialekt ihres kleinen Volksstammes. Ihre Sippe kam damals nach Valia, um sich hier
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