Die Chroniken von Waldsee Trilogie Gesamtausgabe: Dämonenblut Nachtfeuer Perlmond (German Edition)
Rowarn gestehen.
»Da, seht Ihr? Nicht mal ein wenig Bekanntheit besitzen wir«, sagte Agrivill sofort, ohne sich zu kümmern, was sein Bruder zuvor behauptet hatte. »Wer sollte sich auch für uns interessieren? Hier gibt es weit und breit nichts. Nur arme Habnixe, viel zu unwichtig, um bemerkt zu werden.«
»Und wo ist dieses ›Weit und Breit‹?«, fragte Rowarn.
Die beiden Habnixe glotzten ihn verständnislos an. »Na, hier«, gab Fortivill Auskunft. »Rundum«, fügte Agrivill mit ausholender Geste hinzu.
Rowarn setzte sich bequemer hin. Er kramte in seinem Beutel, den er nur mit Mühe aus Fortivills langen dürren Fingern zerren konnte, und reichte den Brüdern dann zwei harte, aber süße Honiggetreidetaler, die ihnen beim Durchwühlen entgangen waren. Sie starrten zuerst misstrauisch auf die Gabe, dann griffen sie gierig zu, bissen ab, stutzten – und kauten geräuschvoll schmatzend weiter. Ihre breiten, dünnlippigen Münder verzogen sich zu einem verzückten Grinsen.
»Daschischabergug«, nuschelte Agrivill und spuckte dabei jede Menge Krümel aus. »Mhmmm«, machte Fortivill selig und fing mit langer, dünner Zunge jeden Krümel hastig auf.
»Also gut«, sagte Rowarn lächelnd. »Wo komme ich hin, wenn ich weiter auf die Berge zugehe?«
»Nach Gandur, wasch schonscht?«, antwortete Fortivill verständnislos und Agrivill tippte sich mit der Fingerkuppe gegen die Stirn und verdrehte die Augen.
»Aber ich dachte, die Gandur leben in der Nähe der Berge ...«
»Tun schie doch auch, da hinten bei dem Schneegipfel, tschwischen dem Doppeltschacken.«
»Gibt es sonst noch Nennenswertes in diesem Land? Ein bedeutendes Reich, aus Legenden oder in der Wirklichkeit?«
»Nee. Gandur genügt dir wohl nicht, was?« Fortivill gab es auf und winkte ab. »So dumm wie groß«, wisperte er seinem Bruder zu und schielte misstrauisch zu Rowarn hoch.
»Hauen wir lieber ab, vielleicht will er uns mästen und dann verspeisen«, flüsterte Agrivill besorgt. »Dann sind wir am Ende Garnixe.«
»Ich kann euch hören«, bemerkte Rowarn freundlich.
Die beiden stießen quietschende Laute aus und rannten in die Dunkelheit davon. Die Reste der süßen Taler nahmen sie aber mit.
Gandur also. Das war dann wohl sein Weg. Also würde er weiter auf die Berge zuhalten.
Als Rowarn das dritte Mal erwachte, war es Morgen. Erleichtert stellte er fest, dass er unversehrt und an einem Stück war, auch seine Habseligkeiten waren noch da. Aber keine Spur mehr von den beiden kleinen Gnomen. Rowarn fachte das Feuer noch einmal an, um sich einen Tee zu kochen. Es war sehr kühl durch den unablässigen Wind, aber nach wie vor trocken. Der Himmel war genauso bedeckt wie gestern, das Licht trüb. Allerdings, das musste Rowarn einräumen, war dies eine Wohltat für seine lichtempfindlichen Augen, auch wenn er die Sonne vermisste. Er knabberte einen süßen Taler, dann warf er sandige Erde über die Glut, beseitigte seine Spuren, ließ jedoch nochmals zwei Taler zurück, und machte sich auf den Weg. Also dann, auf nach Gandur, wo Jokim, der Hochkönig aller Zwerge, residierte, der angeblich den besten Ushkany von ganz Waldsee brannte.
Gegen Mittag erreichte er das Ende.
Staunend verharrte Rowarn vor der scharfen Kante. Abrupt, ohne Vorwarnung, tat sich ein Riss in der Landschaft auf, der sich rasch verbreiterte und in Richtung der Berge schließlich sein ganzes Blickfeld einnahm. Die Felswand fiel fast senkrecht in die Tiefe. Doch das Land dort unten war nicht eben, sondern schroff und voller Felsen, die sich in Richtung Horizont immer höher auftürmten, bis sie über die Bruchkanten hinausragten und schließlich in dem gewaltigen Gebirge endeten, das Rowarn seit Beginn seiner Reise vor Augen hatte.
Das Felsenreich dort unten war nicht minder rau wie hier oben, zerklüftet, mit großen, knorrigen Bäumen, weit ausladendem Gebüsch und grasbewachsenen Plateaus. Wilde Frostrosen wucherten zwischen dem Gestein, weißlich gelb leuchtend und den ersten zarten Duft verströmend, ein Vorbote des Frühlings. Moosteppiche waren von einem blauen Schimmer überzogen, und Rowarn hörte sogar von hier oben das geschäftige Summen der großen rotblau gestreiften Winterdrohnen mit ihren schillernden Flügeln, die den ersten Nektar sammelten. Dort unten musste es wärmer sein; zumindest der Wind hatte seine Kraft verloren. Und es musste Wasser geben, oder wenigstens Feuchtigkeit, die sich zwischen den Felsen sammelte Rowarn war sicher, dort unten
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