Die Chroniken von Waldsee Trilogie Gesamtausgabe: Dämonenblut Nachtfeuer Perlmond (German Edition)
vernünftig genug zu schweigen.
Esdrella verließ daraufhin mit ihrer Tochter die Halle. Die übrigen Zwerge zogen sich auf Distanz zurück und setzten ihr Tagwerk fort. Jokim beauftragte drei schwer bewaffnete Wachen, Gomwei einzusperren, er wollte sich später mit ihm befassen.
Rowarn bekam ein Gastzimmer zugewiesen, nahm ein ausgiebiges Bad und schlief zwei Stunden lang. Eine Dienstmagd holte ihn zum gemeinsamen Mittagsmahl mit der königlichen Familie ab, und er sah erfreut, dass Mirella wieder munter und rosig aussah, wie es sich für eine Zwergin gehörte. Die Male an den Handgelenken würden bald abheilen und verschwinden.
Die Zwerge begrüßten Rowarn wie einen alten Freund, und nun holten sie überschwänglich den Dank für Mirellas Rettung nach, bewirteten ihn und baten ihn, seine Wünsche zu äußern.
»Ich habe nur einen Wunsch«, sagte er schlicht und Königin Esdrella lächelte.
»Er soll Euch erfüllt werden, junger Herr. Das habt Ihr Euch mehr als verdient.«
Rowarn wollte umgehend aufbrechen, um seine Suche fortzusetzen, auch wenn ihm der Abschied von den fröhlichen Zwergen nicht leichtfiel.
Als Dankesgabe reichte König Jokim ihm einen kostbaren juwelenverzierten Dolch. »Er soll Euer Königsornat schmücken«, sagte er, und dann gab er ihm auch die drei versprochenen Fläschchen Ushkany. Eigentlich waren es eher Flaschen, sie passten gerade so in den Reisebeutel, der erheblich an Gewicht gewann.
Königin Esdrella ergriff lächelnd Rowarns Hand und legte eine schlichte, auf zwei Seiten gezackte Tonscherbe mit erhabenen und eingeritzten Symbolen hinein. Erstaunt sah er den Splitter an, dann jedoch durchfuhr ihn ein heftiger Ruck, und er hatte das Gefühl, vom Blitz getroffen zu werden. Beinahe hätte er das kostbare Stück fallen lassen, und er verlor die Balance.
»Ich muss es gut verpacken, damit es nicht zerbricht«, sagte er ehrfürchtig. So völlig unvorbereitet zum ersten Mal einen Splitter des Tabernakels ihn Händen zu halten, war überwältigend. Er spürte, wie die beiden Hälften in seinem Inneren in Aufruhr gerieten, und hoffte, dass er sich nicht gleich übergeben musste.
»Dieses Stück ist unzerbrechlich«, versetzte Esdrella. »Die Zersplitterung damals war ein magischer Vorgang, der vielleicht vom Tabernakel selbst herbeigeführt wurde. Ihr könntet mit der Scherbe anstellen, was Ihr wolltet, sie selbst ins Feuer eines Vulkans werfen – sie bliebe unversehrt.«
Rowarn grübelte einen Augenblick darüber, dann steckte er den Splitter in sein Hemd, nah an seinem Herzen. Erleichtert merkte er, wie der magische Druck nachließ und schließlich verschwand. »Wisst Ihr, zu wem ich als Nächstes gehen muss?«
»Kein Hüter kennt den anderen«, verneinte die Königin. »Aber das Freie Haus wird Euch den Weg weisen, solange Ihr ihn zu gehen verlangt.«
»Was mich beschäftigt«, fuhr Rowarn fort, »verzeiht, wenn ich Euch damit belästige, aber – ich verstehe nicht, wie die Sache mit der Zeit funktioniert. Wenn ich durch die Türen des Freien Hauses gehe, verändert sich die Zeit, nicht wahr?«
»Die Zeit ist überall gleich, Herr Rowarn.«
»Aber Arlyn hat gesagt, dass hier draußen Tage und Monde vergehen können, doch wenn ich zurückkehre, sind im Haus vielleicht nur wenige Stunden verstrichen. Dann ... kann dies hier doch noch gar nicht stattgefunden haben, oder?«
Esdrellas Lächeln vertiefte sich. »Ihr betrachtet die Zeit als etwas Lineares, weil Ihr geboren werdet, aufwachst, älter werdet und sterbt. Aber das eine hat nichts mit dem anderen zu tun. Eine Entwicklung wie Euer Leben ist linear und eingebettet in die Zeit, aber nicht die Zeit selbst. Diese ist nicht linear, sie ist immer , alles , zur ... selben Zeit.«
»Wie soll ich mir das vorstellen?«, rief Rowarn verwirrt.
»Stellt Euch einen Punkt vor, von dem aus alle Linien verlaufen und wieder zurückführen«, antwortete die Königin. »Wir bewegen uns zumeist in eine Richtung, nach vorn. Aber das muss nicht immer auf demselben Pfad geschehen. Der Weg, den Ihr gerade geht, wird ein anderer, sobald Ihr das Freie Haus betretet. Die Zeit, die im Freien Haus selbst vergeht, ist wiederum ein anderer Pfad als die Zeit außerhalb, und doch können beide jederzeit wieder zusammengeführt werden.«
»Ich verstehe kein Wort.«
»Das braucht Ihr nicht, lasst es einfach geschehen. Wenn Ihr schließlich nach Dubhan aufbrecht, werdet Ihr das Haus zur rechten Zeit verlassen. Darauf habt Ihr keinen Einfluss. Das
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