Die Chroniken von Waldsee Trilogie Gesamtausgabe: Dämonenblut Nachtfeuer Perlmond (German Edition)
Innen- oder Außenwelt, hatte er es noch nirgends erlebt. Dieses Land war völlig verlassen.
Und da, gerade als Rowarn völlig verzagen wollte, ging plötzlich die Sonne auf. Genau genommen stieg sie hinter einem der porösen Berge über den Horizont, und dann ... brach das Licht mitten hindurch.
Rowarn sank vor Staunen langsam der Unterkiefer herunter, als sich auf dem Boden ein Muster aus Licht und Schatten abzuzeichnen begann. Wie mit einem großen Pinsel gemalt, bildeten sich Linien, die sich bogen und krümmten. Die parallel zueinander liefen und sich immer weiter über den Boden fortsetzten. Ein kreisförmiges Muster, das von außen nach innen lief.
Das Schattenlabyrinth.
Rowarn unterdrückte einen Aufschrei. Mit flinkem Blick überschaute er das Muster – es war ein unverzweigtes Labyrinth, das nur einen Weg hatte, mit dem Ziel in der Mitte. Alle parallelen Linien liefen ohne Verbindung ins Leere und bildeten lediglich das Muster nach, um es zu vergrößern, zu ergänzen, das Auge des Betrachters zu erfreuen und zugleich zu verwirren. Trotzdem konnte man sich nicht darin verirren.
Aber man konnte vielleicht den Weg verlieren, wenn man nicht schnell genug reagierte, wenn die Sonne zu hoch stieg und das Schattenlabyrinth wieder dahinschwand. Er hatte nur noch wenige Augenblicke Zeit.
Rowarn rannte los, auf der leuchtenden Startlinie entlang, dann folgte er den Bögen und Windungen, achtete darauf, dass er nicht versehentlich auf eine parallel verlaufende Linie wechselte. Er konnte den Weg nicht abkürzen, das war die Bedingung eines unverzweigten Labyrinths: Der Weg musste vollständig zurückgelegt werden, nur so konnte man ans Ziel gelangen.
Die Sonne stieg und stieg, die ersten Linien hinter ihm erloschen bereits. Das Licht fraß die Schatten weg und löste die leuchtenden Linien auf.
Rowarn keuchte und schwitzte und rannte. So viele Windungen, hätte es nicht einfacher gehen können? Wie sollte er rechtzeitig das Ziel erreichen? War er etwa Pyrfinn der Läufer?
Der Boden unter seinen Fußsohlen zischte leise, und die Sonne brannte auf seinem Rücken. Schon gut ein Drittel des Labyrinths war erloschen, und Rowarn hoffte, dass er zu keiner Linie zurückmusste, die schon fort war. Hinauf und hinunter, links herum, rechts herum. Und wieder zurück, enge Kurve, neue Gerade nach oben. Wie weit war es noch bis zum Ziel? Das Licht kroch immer näher und zerstörte das kostbare Muster.
»Bitte«, flüsterte Rowarn. »Bitte, bitte.«
Immer enger und kürzer schraubten sich die Kurven, endlich kam er dem Zentrum näher. Jetzt nur nicht stolpern, taumeln, fallen! Die Linie war schmal, und so viele lagen daneben. Ein Fehltritt, und alles war verloren.
Und da, endlich, sah er das Ende des Pfades, ein leuchtendes Zentrum, wie eine Blume aus Licht und Schatten.
Rowarn gab noch einmal alles. Die Zielgerade war erreicht, er beschleunigte, stürmte auf das Zentrum zu. Er setzte den Fuß genau in dem Moment auf den umrahmten Punkt in der Mitte, als auch das Licht angekommen war und das Tal in ein blendendes Gleißen hüllte.
Und alles um Rowarn herum verschwand.
Staunend sah Rowarn sich um. Die Sonne war fort, doch es war nicht dunkel. Er stand mitten im samtschwarzen Nichts, umgeben von Myriaden funkelnder und glitzernder Sterne, manche schienen nah, andere unendlich fern. Er sah Symbole, Muster und Bilder. Alles war ihm vertraut, obwohl er einen solchen Himmel noch nie gesehen hatte, erst recht nicht aus dieser Perspektive.
Unter sich erblickte er die fernen Gipfel der Vulkanberge mit ihren glühenden Schlunden und die schneebedeckten Gipfel des Nordgebirges. Ganz in der Ferne lag der Leuchtendste und Schönste, der sie alle überragte, Fennóngar, der Leuchtturm. Selbst von hier war sein Strahlen noch sichtbar. Dahinter lag Inniu, das traute sanfte Land des Westens.
Die Luft war kalt und dünn, und als Rowarn sich fragte, welche Kraft ihn hier oben hielt, durchfuhr ihn ein heftiger Ruck, wie bei einem Aufprall, und er stolperte zwei Schritte vorwärts.
Auf einmal umgab ihn eine sandige Ebene, mitten in diesem Himmel, und er erblickte nicht weit entfernt, zu seiner Linken, einen regenbogenfarbenen, wallenden Nebelschleier, der sich quer durch die Ebene zog.
Rowarn begriff, dass dies die Grenze war. Wenn er sie überschritt, befand er sich im Reich der Dämonenfrauen. Dies hier war die Pforte, doch ohne Türklopfer und Schloss. Da es keinen Weg zurück gab, kam nur eine Richtung in Frage.
Entschlossen
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