Die Chroniken von Waldsee Trilogie Gesamtausgabe: Dämonenblut Nachtfeuer Perlmond (German Edition)
schreiende Mädchen hatte er quer vor sich über den Sattel geworfen.
Rowarn erkannte das Wappen. »Einer von der Schar«, flüsterte er.
»Schlimmer – einer der Ritter«, murmelte Jelim.
Der Ritter hatte das Helmvisier geschlossen, als er das Pferd vor der Truppe so hart durchparierte, dass Gras und Erdbrocken davonspritzten. Er warf das Mädchen vom Sattel herunter und stieg ab.
»Lass mich!«, kreischte das Mädchen. »Du hast kein Recht, mich ...« Sie verstummte, als er ihr mit der gepanzerten Faust ins Gesicht schlug. Ihr Kopf ruckte herum, sie taumelte und stürzte ins Gras, wo sie halb ohnmächtig liegenblieb. Ihre getroffene Wange verfärbte sich sofort blau und schwoll an.
Keiner der Rekruten rührte sich. Leichenblass und starr vor Schrecken und Entsetzen glotzten sie den Ritter an, als er das schluchzende Mädchen grob an den Haaren packte und zu ihnen schleifte.
»Der Nächste von euch«, sprach er mit grollender Stimme, »der das versucht, ist tot. Dies hier ist die einzige Warnung, die es gibt, und ihr solltet dankbar dafür sein. Der Feind wäre nicht so gnädig.« Er wies Richtung Südosten. »Beinahe vier Stunden sind vergangen, und ihr habt noch nicht einmal die Hälfte geschafft. Denkt besser darüber nach, anstatt euch im Selbstmitleid zu ertränken, ihr jämmerlichen Waschlappen.«
Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, drehte er sich um, stieg auf das Pferd und galoppierte über die Wiese Richtung Wald davon.
Lange Zeit sprach niemand ein Wort. Jelim kniete bei dem Mädchen nieder und tupfte ihr mit einem Tuch notdürftig Blut und Schmutz aus dem misshandelten Gesicht. Das Auge war schon beinahe zugeschwollen, die Lippe aufgeplatzt, und ein Zahn war ausgebrochen.
Immer noch waren alle wie gelähmt. Dann flüsterte der sommersprossige Jüngling: »Sie sind überall ...«
Rowarn, der es endlich schaffte, den trockenen Kloß in seiner Kehle hinunterzuwürgen, nickte. »Genau wie der Feind.«
»Denkst du, er meint es ernst?«, stieß Rayem hervor, dem nunmehr der Angstschweiß auf der Stirn stand.
»Dass der Nächste von uns, der abhaut, stirbt?« Rowarn lachte freudlos. »Natürlich. Du hast gehört, wie dem Gesetz nach mit Fahnenflüchtigen verfahren wird.« Er ging zu dem verletzten Mädchen, griff ihm unter die Achsel und zerrte es hoch.
»Hör endlich auf zu heulen!«, fuhr er sie an. Grob stieß er sie nach vorne. »Los, weiter! Wir haben noch viel zu viel Weg vor uns!«
Er trabte los, ohne weiter auf die anderen zu achten. Nach einer Weile kam Jelim an seine Seite. »Mit Pferden aufgewachsen also«, sagte sie. »Du hast wohl die Hengste gut beobachtet, wie man die Herde beisammen hält, oder?«
»Ja«, sagte er einsilbig.
»Warum tust du das? Ich meine, wir können dir doch völlig egal sein.«
»Du kapierst es nicht, oder? Keiner von euch hat es kapiert. Hier geht es nicht darum, der Beste zu sein, sondern dass so viele wie möglich durchkommen! Der Heermeister von Ardig Hall braucht jeden einzelnen Mann und jede einzelne Frau, die irgendeine Waffe in der Hand halten können und wenigstens eine Schlacht gegen eine dreifache Übermacht durchhalten. Und ich will verdammt sein, wenn wir nicht alle dorthin kommen und denen in Valia zeigen, dass Inniu kein schlafendes Tal ist, über das man sich ungestraft lustig macht!«
»Nicht schlecht«, grinste Jelim. »Das muss ich glatt den anderen erzählen, wird sie bestimmt anspornen.«
Und so liefen sie weiter, Stunde um Stunde. Nachdem sie den Schrecken überwunden hatten, galt es, keine Worte mehr zu verlieren. Endlich hatten sie den Ernst der Lage begriffen.
Nach und nach fiel der Pulk wieder auseinander. Manche suchten abenteuerliche Abkürzungen, andere verringerten die Geschwindigkeit oder wurden im Gegenteil schneller. Rowarn geriet bald ins Mittelfeld, aber das machte ihm nichts aus. Er hatte von Anfang an nicht daran geglaubt, dass diese gewaltige Entfernung in einem Tag zu schaffen war. Doch allmählich fing er sogar an, Hoffnung zu schöpfen.
Die Sonne schickte sich an, hinter die Hügel zu tauchen. Die beiden hohen Bäume waren inzwischen gut in Sichtweite gerückt, und Rowarn wusste, dass er es tatsächlich schaffen würde. Vor ihm waren sicherlich schon über fünfzig der Rekruten eingetroffen, und weitere überholten ihn nahezu ständig, doch er hatte keine Eile. Es war kein Wettrennen, es gab keinen Sieger, man musste nur ankommen. Und wann das war, konnte er inzwischen selbst entscheiden: in frühestens
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