Die Chroniken von Waldsee Trilogie Gesamtausgabe: Dämonenblut Nachtfeuer Perlmond (German Edition)
hielt. Es sah ganz danach aus, als wären sie einander tatsächlich von Herzen zugetan. Fürst Noïrun hatte das Verhältnis der beiden bisher zwar stillschweigend geduldet (was Rowarn ihm hoch anrechnete), da sie äußerst vorsichtig waren und außerhalb des Freundeskreises bisher niemand etwas bemerkt hatte. Aber vielleicht war die Liebelei trotzdem ein Grund für die Trennung der beiden.
Rowarn wanderte an den heruntergebrannten Feuerstellen vorbei und überschritt schließlich den letzten Fackelkreis, hinaus in die fremdartige Nacht. Erst, als die Fackeln nur noch winzige Lichtpunkte in der Dunkelheit waren, blieb er stehen und sah sich um. In seiner Vision der Titanenschlacht war der Tag kaum heller gewesen, und er glaubte wieder das Stampfen und Dröhnen zu hören, das Klirren und Schreien, und die Konturen riesiger Geschöpfe schoben sich an ihm vorbei.
Es war kaum zu glauben, dass die Erinnerung nach so langer Zeit hier immer noch festgebannt war wie ein böser Fluch. Und nichts anderes war es ja im Grunde: ein ewiges Mahnmal des Schreckens, dass dergleichen nie mehr geschehen durfte. Götter und Dämonen, Unsterbliche, Drachen und die Alten Völker ... Rowarn schüttelte es. Kein Wunder, dass Olrig die Erinnerung daran lieber verbannen wollte, denn sein Volk war damals schon dabei gewesen.
Er hatte den Zwerg gefragt, wann die Menschen gekommen wären. »Viel später, sie lebten damals in den Wilden Landen ganz unten im Süden, jenseits der Wüste«, hatte Olrig geantwortet. »Die Menschen Waldsees gehören zur Ersten Menschheit, sie wurden nicht erschaffen wie die späteren Menschen, sondern begründet, von den großen Helden Eldaron und Eldamar. Die Erste Menschheit gibt es nur hier und auf einer weiteren, etwas jüngeren Welt.« Und Rowarn hatte gemeint: »Dann waren sie tatsächlich einmal nicht beteiligt ...« – »Nein«, hatte Olrig erwidert. »Beim schlimmsten aller Massaker waren sie nicht mit dabei.«
Wie lange war dann diese Schlacht her? Eldaron und Eldamar waren schon vor vielen Jahrtausenden dahingegangen. Und die Erinnerung an die Geschehnisse an diesem Ort war immer noch so wach ...
Rowarn zuckte zusammen, als er ein Geräusch hörte, wie einen schweren, rasselnden Atem, ein Schnüffeln und Schnauben. Etwas bewegte sich über das Feld, scharrend und schwerfällig. Er hielt ganz still und schaute.
Und dann sah er sie. Eine Frau, mindestens einen Kopf größer als er. Ihre Haut war bleich und fast durchsichtig, kaum bedeckt von dünnen Fetzen eines dunklen Gewandes. Sie war barfuß und erschreckend mager, überall standen die Knochen vor. Ihr langes schwarzes Haar hing wirr und in Strähnen an ihr herab, kaum zu unterscheiden von den Kleidungsfetzen. Mit großen, dunklen Augen, in denen kein Weiß mehr zu sehen war, suchte sie den Boden ab. Sie bewegte sich auf eigentümliche Weise über den brachen Grund, wie über ein frisches Schlachtfeld, wich Hindernissen aus, stieg über Tote, und suchte und suchte ... Dabei keuchte sie bei jedem Schritt, ging gekrümmt und schief in der Hüfte. Sie musste uralt sein.
Ein heißer Wind wehte plötzlich von dem Feld herüber, hüllte Rowarn ein und legte sich schwer über seine Brust. Gleichzeitig spürte er, wie die eiskalten Finger der Magie an ihm hochkrochen, und er fühlte die Toten um sich. Zusehends glaubte er sich versetzt, war nicht mehr in der Welt, die er kannte, sondern irgendwo dazwischen, nicht ganz in der Vergangenheit, aber auch nicht mehr im Heute.
Je länger er die Frau beobachtete, desto besser konnte er ihre bizarren Bewegungen nachvollziehen, und er erkannte immer mehr, was in ihrer Vorstellung um sie herum war. Sie durchwühlte hier die Taschen eines Gefallenen, hob dort an den Haaren ein Gesicht zu sich auf, um es zu mustern, öffnete das Visier eines Helmes, in dem ein abgeschlagener Kopf steckte, hob Arme und Beine, schüttelte sie. Dabei schnüffelte und röchelte sie, ließ immer wieder die Blicke über das Feld schweifen, wechselte die Richtung und suchte und suchte.
Und dann verharrte sie, schaute aus blicklosen Augen genau zu Rowarn herüber, und er griff sich an die Brust, als er einen stechenden, eisigen Schmerz in seinem Herzen fühlte.
Sie hatte ihn gesehen .
Kam langsam auf ihn zu.
Rowarn wollte sich umdrehen und weglaufen, zurück zum Lager, aber sie bannte ihn mit ihrem Blick aus den grausamen leeren Augen, während sie näherhinkte und dabei stets auf Hindernisse achtete, die in Wirklichkeit nicht
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