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Die Chronistin

Die Chronistin

Titel: Die Chronistin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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begegnete in der Nacht der Herr Jesus Christus, den sie vor dem Altar zum Gatten genommen hatten und dieses mit den Worten: Ich liebe Christus, in dessen Bett ich eingestiegen bin bekräftigt hatten. Schwester Cordelis, die Sophia anleitete, musste dann die geschilderten Symptome mit Tasten und Berühren überprüfen, und oft überließ sie beides Sophia, auf dass jene zum Urteil kam, wonach die Nonne nur im Geiste ein Kind trug, nicht in Wirklichkeit.
    Andere glaubten sich von Christus in der Gestalt des kleinen Kindes besucht, das vom jungfräulichen Leib geboren worden war und das heftig und schmerzhaft und lustvoll an den Brüsten trank. Schwester Cordelis und Sophia bekamen dann wunde, gerötete Warzen zu sehen und mussten diese pflegen.
    Und wiederum andere meinten, dass ihnen der Gekreuzigte die Stigmata eingedrückt hätte. Dann bluteten ihre Handflächen und wurden von den anderen so lange ehrfürchtig begafft, bis Schwester Cordelis die entzündete Stelle mit Mixturen aus Hirschtalg, Kampfer und Rindermark heilte.
    Eben erzählte die Nonne, die heute zu ihnen gekommen war und glaubte, vom Heiland empfangen zu haben, dass jener – aus strahlend blauen Augen starrend, wiewohl an der Stirn von der Dornenkrone blutend – ihren ganzen Leib mit Küssen bedeckt hätte. Selbst ihre Scham hätte er mit weichen Lippen nicht ausgespart; noch am nächsten Morgen sei sie nass gewesen – und gewiss mochte jene Feuchtigkeit nichts anderes als heiliger Samen sein.
    Schwester Cordelis verzog ihre Miene nicht.
    »Dies mag alles sein«, murmelte sie nüchtern, »aber schwanger bist du nicht. Es verhält sich vielmehr so, dass es vier Körpersäfte gibt, Blut und Schleim und gelbe Galle und schwarze Galle – wie an Jahreszeiten und an Elementen und an Qualitäten stets derer vier vorhanden sind. In deinem Körper scheint mir das Heiße und Nasse zu überwiegen und das Kalte und Trockene verjagt zu haben. Was denkst du, Sophia – wie sollen wir sie behandeln?«
    Das Mädchen flüsterte, damit die Kranke sie nicht hören konnte. Sie hatte gelernt, dass es manche Leidenden erschreckte, wurde die Art der Heilung vor ihr besprochen.
    »Man könnte die Kauterisation anwenden, eine heiße Nadel in den Körper stechen und die übermäßig vorhandenen Säfte absaugen.«
    Bedächtig wog Schwester Cordelis den Vorschlag ab und entgegnete gleichfalls flüsternd: »Solches mag sie erschrecken und den Glauben stärken, dass die Dornen von Christi Krone in sie stechen.«
    »Dann ein Tee aus Cameleia, der wilden Distel, welcher dem aufgeschwollenen Leib Linderung verschafft.«
    »Ein guter Vorschlag, doch denke ich, dass sie den runden Leib noch einige Monate behalten wird – bis zu dem Tag, da sie vermeint, das Kind zu gebären. Dann werden sie Krampfanfälle zu uns führen. Was werden wir ihr dann zu geben haben?«
    »Springwurz und Mistel«, sagte Sophia rasch.
    Schwester Cordelis nickte anerkennend.
    »Und wenn ihr zuvor übel wird?«
    Sophia antwortete, ohne darüber nachzudenken: »Dann schlage ich folgende Rezeptur vor: Man mische den Sud von Salbei mit Wermutwasser und süßem, leichtem Wein, würze dieses mit Kümmel, Pfeffer und Bibernell, rühre Rapsöl, Wasser und einen Eidotter darunter und gebe hernach so viel Weizenmehl hinzu, bis daraus ein fester Teig werde, den man hernach backen kann. Die Kranke esse diesen Kuchen in kleinen Bissen.«
    Cordelis nickte wieder, doch diesmal geriet ihr Lächeln etwas verhalten. Es fiel ihr nicht schwer, das Mädchen zu loben – fast täglich bot sich ein Anlass dafür. Doch manchmal war es ihr fast unheimlich, dass sie jedwede Rezeptur so selbstverständlich wiederholte, als habe sie sie schon hundert Mal angewendet, dass sie nie überlegte, welche Zutat noch zu nennen sei, dass sie stets alles wusste – und irgendwie dabei so gleichgültig blieb, als sei ihr dieses Wissen gar nichts wert.
    »Nun gut«, fuhr Cordelis fort. Sie war zu nüchtern, um sich Misstrauen zu gestatten und darin womöglich jenen Nonnen zu folgen, die von einer Furcht erregenden Gabe Sophias tuschelten. »Nun gut... zuförderst aber werde ich ihr zu erklären haben, dass Christus niemals seinen Samen vergießt, weil er kein Mann ist wie die anderen, sondern Gottes Sohn. Sie wird sich ein wenig schämen, also lass mich allein mit ihr.«
    Sie nickte ein zweites Mal. Sophia ging wortlos, daran gewöhnt, dass sie gelobt wurde, weil sie so schnell lernte, und stets enttäuscht, weil sie seit langer Zeit nur auf diesem

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