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Die Chronistin

Die Chronistin

Titel: Die Chronistin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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»Nichts anderes tue ich, als dem Talent zu folgen, das mir Gott selbst gegeben hat!«
    »Und wenn’s der Teufel war?«, antwortete er, und jetzt erst hörte sie, dass er nicht nur ungeduldig und streng klang, sondern verzweifelt. Sie blickte nicht in das gütige Gesicht, das er bei seinen bisherigen Besuchen gezeigt hatte, da sie sich stets sicher wähnte, mehr Beachtung zu erfahren als die anderen. Aufgerieben waren vielmehr die faltigen Züge von Ängsten, die nicht allein ihr Streit mit Mechthild bewirkt haben konnte.
    »Was...«, setzte sie an, »was...«
    »Hör zu, kleine Sophia’«, unterbrach er sie milder, »du hast gehört, was Schwester Mechthild sagte. Nicht deine Gabe allein ist es, die ängstigt, sondern weil sie einer geschenkt wurde, um deren Vaters Geschick man weiß.«
    Die letzten Jahre hatte sie ihre Fragen niemals wieder aufgeschrieben und gelesen – Irmingards Weisung befolgend, dass ihre kindlichen Nöte nichts galten, jedoch alles die Wissenschaften, welche die Wahrheiten des Glaubens mit der Ratio belegten.
    »Wer ist mein Vater?«, brach es jetzt aus ihr hervor. »Warum spricht man in rätselhaften Sätzen über ihn, ohne mir jemals die Wahrheit zu sagen? Sagt es mir, oh bitte, sagt es mir! Ihr wisst es doch!«
    Er trat zögernd zu ihr her, reichte ihr die Hand, damit sie aufstehen konnte. Sie überlegte kurz, sie auszuschlagen und ihm mit Trotz ein Geständnis zu entlocken, doch dachte sie dann, dass er nur reden würde, erwies sie sich als vernünftig. Nachdem sie sich erhoben hatte, beugte er sich nieder, sodass sie auf gleicher Augenhöhe standen. Den traurigen Blick nicht von ihrem abwendend, setzte er zu sprechen an.
    »Es scheint, dass du nicht wie die anderen bist, kleine Sophia, und Gleiches ließ sich von deinem Vater sagen. Es deuchte allen, er sei von Gott zu Besonderem ausgewählt. Doch vernichtend war sein Sturz nach hohem Aufstieg. Folg ihm nicht nach!«
    »Wohin?«, fragte sie heiser. »Wohin?«
    »Such den anderen zu gleichen. Trachte nicht danach, dich abzuheben. Wähle die niederen Dienste.«
    »Werdet Ihr mir erzählen, wer mein Vater war?«
    »Du bist zu jung, es zu ertragen. Einstweilen aber füge dich dem Befehl, dich zu bescheiden.«
    Während seiner Worte hatte sie die schmerzende Wange nicht gefühlt, jetzt wähnte sie jeden seiner Finger einzeln darauf brennen – so schmerzhaft wie tief drinnen die Enttäuschung.
    »Aber ich darf doch weiter im Skriptorium lernen, nicht wahr?«, fragte sie heiser. »Das Schreiben ist mein Leben! Ich schwör’s, ich werde meine Hoffart schon bezwingen – und künftig wie bisher das Wichtige vom Unwichtigen...«
    »Halt ein!«, unterbrach er sie harsch, und dann sprach er ein Urteil aus, von dem sie meinte, es würde sie töten. »Du darfst nicht wie dein Vater werden, Ragnhild. Du wirst das Skriptorium die nächsten Jahre nicht betreten.«
    Sein Blick schweifte ab, und erst als er sie nicht mehr musterte, ließen seine Verzweiflung und sein Missmut nach.
    »Aber was soll ich stattdessen tun in diesem Kloster?«, schluchzte Sophia und konnte ihre Tränen nicht verbergen.
    Die Nonne war schwanger.
    Dies zumindest war, was sie glaubte, was sie vor der Krankenschwester und Sophia bekundete und was schließlich selbst ihr Körper zu verraten schien: Sie erbrach morgens das Essen; die Brüste und die Beine waren geschwollen, und ihr Bauch wölbte sich mehr und mehr, als würden darin die rauen Fäden vom Flachs zu einem stetig wachsenden Wollknäuel gesponnen.
    Sophia beobachtete steif, wie die Schwester Cordelis den runden Leib abtastete.
    Seit drei Jahren tat sie nun schon Dienst in der Krankenstube – vom Pater Immediatus und der Mutter Äbtissin dorthin verbannt. Noch lieber hätten die beiden das Mädchen zur Gehilfin der Cellerarin gemacht, doch Schwester Irmingard hatte sie davor errettet und auf das enorme Merkvermögen des Mädchens verwiesen. Im Erlernen komplizierter Rezepturen wäre es hier gewiss nützlich und würde zugleich weit weniger unangenehm auffallen als im fortan verbotenen Skriptorium.
    Sophia dankte Irmingard nicht. Zwar vermisste sie jene – aber noch mehr fehlte ihr das Schreiben. Einzig wenn sie sich in medizinische Bücher vertiefte, begegnete ihr die Schrift, doch häufiger noch, als dass sie Lehren über den menschlichen Leib in ihrem Gedächtnis sammeln durfte, musste sie jenen berühren. Das machte sie ekeln.
    Nicht selten geschah’s, dass Nonnen kamen, die sich schwanger wähnten. Vielen

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