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Die Chronistin

Die Chronistin

Titel: Die Chronistin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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sich gerötet, und seine verfilzten Haare standen noch spitzer vom Kopf weg, nachdem er sie hektisch mit seinen schmutzigen Händen durchpflügt hatte.
    »Weiß Gott, ich bin ein Mann, der davon Ahnung hat, was Weibsbildern zuzumuten ist und was nicht!«, rief er aus, »Und diese Art der Schonung scheint mir übertrieben.«
    Sie hatte ihn Théodore gegenüber noch nie so ärgerlich und ungehalten gesehen.
    Freilich wähnte sie sich erstmals, seitdem sie ihn kannte, auf seiner Seite stehen und schmeckte gleichen Zorn. Wie konnte Théodore so dumm sein, dem Freund die Schwester madig zu machen? Wie es wagen, an ihrer Stelle über ihr Leben zu entscheiden?
    Soll er sie doch haben, dachte sie ein zweites Mal entschlossen.
    »Ich bleibe dabei«, erklärte Théodore. »Es ist zu früh...«
    Er drehte sich um, und als Christian ihm zielstrebig folgte, verließ Sophia ihr Versteck und stieg mit lautlosen, schleichenden Schritten nach oben. Der Geldsack zog mit seinem Gewicht den Saum ihres Kleides nach unten. In ihrem eigenen Raum stellte sie ihn ab. Vor einer Stunde noch hatte sie Christian damit bewegen wollen, sich zum Teufel zu scheren und sich lieber mit guten Huren und teurem Wein zu vergnügen, anstatt Théodores Studien zu stören.
    Nun weihte sie die Münzen einem anderen Zwecke.
    Oft war Christian Tarquam in diesen Wochen bei den Guscelins Gast. Sophia lud ihn ein und forderte auch Cathérine auf, mit ihnen am Tisch zu sitzen. Früher war sie gemeinsamen Mahlzeiten gerne entgangen, hatte ihr kärgliches Mahl asketischen Gewohnheiten angepasst, und dazu zählte, so schnell und so einsam wie möglich zu essen – nun reichte sie mit dem freundlichen Lächeln einer guten Gastgeberin dunkelroten Wein, in den seltene und teure Gewürze gerührt waren. Die Pariser kannten solche nicht, denn sie wurden von einem weit reisenden Händler gebracht, der Bertrand seit dessen Zeiten im Heiligen Land belieferte und den er bis zu seinem Tod teuer für die exotischen Köstlichkeiten bezahlt hatte: Es waren dies nicht nur Muskat, Anis und Zimt, sondern obendrein Galgantwurzel und Kardamom.
    Christian erwies sich als geübter Trinker, der genussvoll mit der Zunge schmatzte und den Wert der Köstlichkeiten einzuschätzen wusste.
    »Ihr scheint reich zu sein«, bemerkte er einmal spöttisch, »ich habe gehört, dass man für eine Muskatnuss den Wert von sieben Ochsen zahlen muss.«
    Théodore und Cathérine musterten ungläubig und verstört die verwandelte Mutter, die nicht nur selbst in großen Schlucken trank, sondern sich obendrein dazu herabließ, an den einst Angefeindeten ihr Wort zu richten.
    »Eure Familie«, begann sie eines Tages mit leicht geröteten Wangen, »Eure Familie muss stolz sein, den Sohn zum Studium in Paris zu wissen.«
    Christian lachte so klirrend, dass Théodore zusammenzuckte.
    »Mein Vater findet keineswegs Gefallen daran«, entgegnete er mit einem Prusten, »denn er ist seit vielen Jahren tot...«
    Sein Gelächter bewies, dass ihm das wenig Kummer bereitete.
    »Ach«, sagte Sophia, »das tut mir Leid.«
    »Es gibt Schlimmeres. Immerhin habe ich es geschafft, dem Krieg zu entgehen. Des Königs Männer suchten vor vielen Jahren unser Dorf heim und nahmen alles mit, was jung und kräftig war, zwei Beine hatte und einen Schwanz dazwischen.«
    »Christian!«, rief Théodore missbilligend aus.
    Cathérines Gesicht färbte sich so rot wie der Wein.
    Christian aber lachte girrend und hoch wie eine Frau. »Ach was, ich möchte meinen, Ihr vertragt so derbe Worte, Sophia, nicht wahr? Ihr seid doch vom Leben abgehärtet, gleichwohl Ihr Euch jetzo vor seinen Tücken duckt? Wie’s auch sei: Meine Mutter hat mich zwei Monate im Heuschober versteckt, wo ich unter den Ballen liegen musste, ohne mich rühren zu dürfen. Freilich... nun da ich der einzige Mann im Haus war, blieben die Felder ungeerntet, und wir bekamen kaum zu futtern. Die wenige Scheiße, die wir aus unseren Leibern pressten, war hart wie Stein. Viele haben’s nicht überlebt, und...«
    »Christian!«, rief Théodore erneut dazwischen.
    Sophia blieb ruhig lächelnd sitzen, ließ sich von seinem Lachen nicht verwirren und ebenso wenig von seinem Blick, der nicht nur spöttisch, sondern herausfordernd und vertraulich auf ihr lag – als sähe er in ihr nicht eine ältliche Dame, die es zu schockieren galt, sondern eine, die ihm ebenbürtig war, die wie er gegen den Dreck des Lebens kämpfte, wenngleich auf andere Weise.
    »Was zollst du diesem Taugenichts

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