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Die Chronistin

Die Chronistin

Titel: Die Chronistin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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ist die beiden endlich los, und auch ich muss ihren Anblick nicht länger ertragen!«
    Sie lachte triumphierend in das Gesicht der anderen und hätte sich beinahe herabgelassen, ihr den schweren Geldsack zu zeigen und ihre genauen Pläne zu verraten. Isidora aber erwiderte ihren Blick nicht, sondern sah an ihr vorbei. Alsbald gewahrte Sophia, was sie ablenkte. Sie folgte dem strengen Auge, drehte sich um und sah in Cathérines entgeistertes, schreckensbleiches Gesicht.
    Unmöglich war es für Sophia, die Tochter zu packen zu kriegen und ihr die bösen, verächtlichen Worte, die sie zu Isidora gesprochen hatte, zu erklären. Ohne ihr zuzuhören, hatte Cathérine das Haus verlassen und floh nun die Straßen entlang, als wäre der Teufel selbst hinter ihr her. Sophia war nichts anderes übrig geblieben, als ihr eilig zu folgen. Es war ihr gleich, dass Cathérine sie womöglich noch mehr scheuen und verachten würde als bisher – jedoch wollte sie vermeiden, dass Théodore von der kalten, herzlosen Mutter berichtet wurde und jenem vor ihr graute.
    »Bleib stehen!«, keuchte sie, des schnellen Gehens entwöhnt. Das weiße Gebende, unter dem das Haar verborgen war, löste sich, indessen Cathérines Zöpfe wie Schlangen über den Rücken tanzten.
    Jene hielt tatsächlich inne.
    »Wie lange«, rief sie mit glühenden Wangen, »wie lange warst du nicht mehr in den Straßen von Paris, Mutter? Besitzt du Kenntnis, wo hier die gute Hausfrau einzukaufen hat und wo sie’s lieber bleiben lässt?«
    Sophia blickte verwirrt. »Es ist jetzt nicht die Zeit, über solches...«
    »Ich rede, Mutter, ich!«, kreischte Cathérine. »Du hockst seit Jahren in dem Haus, Mutter, hast keine Ahnung, was auf der Welt geschieht, und wagst trotz allem zu bekunden, dass ich zu nichts tauge? Das Gegenteil ist der Fall!«
    »Cathérine, komm nur heim, und dann...«
    »Heimkommen? Wohin? Du hast dein Haus niemals behaglich machen können – ich tat es, ich tat es all die Jahre! Dort drüben, bei den Markthallen, ist feinstes Mehl zu kaufen und weißes Brot, saftiges Schweinefleisch und gerupftes Geflügel. Und auf der anderen Seite, direkt gegenüber, bei Pierre-au-lait gibt’s die beste Milch von Paris, schaumig, cremig und dick.«
    »Cathérine...«
    »Von all dem weißt du nichts!«, schrie das Mädchen und brüllte sich die Stimme heiser. »Du steckst deine Nase vielleicht in alle Schriften dieser Welt, doch jeder Frauenpflicht hast du dich stets aus Hochmut und Hoffart verweigert. Ich nicht! Ich nicht! Sieh dort drüben, bei Saint-Jean-en-Grève, dort kauft man Heu für die Pferde. In der Rue des Lombards gibt’s die feinsten und edelsten Stoffe, und bei der Porte Saint-Honoré sah ich die schönsten Wandbehänge! Von all dem hast du keine Ahnung! Von all dem weißt du nichts, weil es dich niemals interessiert hat! Weiber wie du sind Gott ein Gräuel!«
    Während der letzten Worte hatte sie wieder zu laufen begonnen, und Sophia folgte, wenngleich schwerfällig und widerwillig. Kurz überlegte sie, die Tochter dem Getümmel zu überlassen und ihr Toben zu missachten. Doch als hätte Cathérine diesen Gedanken gelesen, brachte sie einen gewichtigeren Namen ins Spiel als den der besten Kaufleute.
    »Théodore«, setzte sie an, indessen sie am halbfertigen Louvre vorbeikamen – die Burg, die seit wenigen Jahren am Rive-Droite erbaut wurde – und schließlich die Brücke betraten, die auf die Ile-de-la-Cité führte. »Théodore ist fromm und bescheiden – und dennoch hat er’s geliebt, wenn ich ihm die warme Stube bereitet und das Essen gekocht habe. An nichts sollte es ihm fehlen, wenn er aus dem eisigen Zimmer kam, indem du hockst wie eine Spinne und ihm das Leben madig machst.«
    »Halt ein! Sofort!«, schnaufte Sophia angestrengt. »Was verstehst du von Théodore?«
    »Ich musste ihn nicht verstehen, um ihm ein freudvolles, annehmliches Leben zu schaffen. Ich mag vielleicht strohdumm sein und nichts beherrschen, was dir nützlich erscheint – ich jedoch habe ihn niemals gequält, niemals zu etwas gezwungen, niemals sein Unglück heraufbeschworen wie du.«
    »Sein Unglück? Wovon redest du!«
    »Ich hasse dich, Mutter, ich hasse dich aus vollem Herzen!«, geiferte Cathérine.
    In der Nähe von Notre-Dame waren etliche Menschen auf der Straße. Manch verwunderter Blick traf die aufgebrachten Frauen. Sophia beachtete sie jedoch nicht.
    »Nun gut«, höhnte sie, der Anklagen überdrüssig. »Dann hasse mich eben! Du musst mich auch nicht

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