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Die Chronistin

Die Chronistin

Titel: Die Chronistin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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Kapuze tief ins Gesicht, damit niemand sie vom Juden kommen sah, streifte sie erst wieder ab, als sie das eigene Haus betrat – und erblickte dort zu ihrer großen Überraschung den Angefeindeten. Christian hielt sich nicht nur zu gänzlich unerwarteter Zeit in ihrem Haus auf, sondern legte obendrein Haltung und Ausdruck an den Tag, die ihren sorgsam erdachten Plan augenblicklich ins Wanken brachten.
    Sobald sie ihn erblickt hatte, blieb sie stehen und beobachtete ihn so starr, wie er selbst sich verhielt. Kaum einen Atemzug tat sie, indessen sie sein Profil erforschte. Wiewohl sie nicht darin geübt war, in den Zügen anderer Menschen zu lesen, erkannte sie alsbald, was ihn gebannt in eine Richtung schauen ließ und ihn – den stets gelenkigen, unruhigen, flinken – zur reglosen Statue mauerte.
    Christians Blick ruhte auf dem Garten, in dem einst der kleine, hinkende Théodore das riesige Schwert gehalten und gefordert hatte, Ritter zu werden. Nun, zwanzig Jahre später, schritt dort jener auf und ab – zum Gelehrten gereift und den Takt seiner langsamen, humpelnden Schritte nützend, um sich eben Gelesenes und Erlerntes noch einmal durch den Kopf gehen zu lassen. Heute war er nicht allein. An seiner Seite klebte Cathérine, die wie so oft belanglos auf ihn einschwatzte, von ihrem nichtigen Tag erzählte und ihm schließlich anbot, ihm eine stärkende Suppe zu kochen oder einen Kelch Wein mit Gewürzen zu mischen.
    Anstatt zu den beiden zu treten und sie mit seiner ungehobelten Art zu begrüßen, hielt Christian sich gänzlich zurück, wedelte nicht mit seiner zahmen Ratte vor der kreischenden Cathérine, sondern bestaunte sie mit weit geöffneten Augen – ein seltsam verwundeter Blick. Er war frei vom klirrenden Spott, der sich ansonsten wie dünnes Glas zwischen seinen Blick und die Welt schob. Auch das Lächeln war nicht verkniffen, sondern weich, voller Hingabe seine Haltung.
    Sophia schüttelte verständnislos den Kopf.
    Welch ein Narr!, war das Erste, was sie dachte. Wie konnte es sein, dass dieser Vagabund, der es mit den billigsten Huren von Paris trieb, weil er sich die teuren nicht leisten konnte, es auf ihre dumme Tochter abgesehen hatte? Nun gut, sie war liebreizend anzusehen mit Frère Guérins blondem Haar, doch es fehlte ihr sein wacher Blick und seine würdevolle Haltung. Einer dreisten Dienstmagd glich sie mehr als der Tochter einer Gelehrten – und dieser Tölpel sah sie sehnsuchtsvoll an, als wäre sie das Kostbarste auf dieser Welt!
    Sie schob sich ein weniger tiefer in die verstaubte Ecke, aus der sich Christian ebenso unbemerkt beobachten ließ, wie er selbst auf Cathérine starrte.
    Freilich, dachte Sophia, und sie versenkte den schweren Geldbeutel in die Tiefe des Gewandes, war einem solch ungebildeten, flatterhaften Mann nichts anderes zuzutrauen, als dass er rote Wangen und niedliche Grübchen liebte, nicht einen gestochenen Verstand.
    Sophia lächelte in sich hinein. Soll er sie haben, dachte sie gleichsam grimmig wie vergnügt, soll er sie nur haben.
    Indessen hatte Théodore seine Runden beendet, Cathérine wieder fortgeschickt und eben den Vorraum betreten. Augenblicklich wich Christian von der Luke, als wäre er eben erst eingetreten, schritt dann jedoch nicht spaßend und begeistert wie sonst auf den Freund zu, sondern blieb nachdenklich stehen.
    Steif war die Begrüßung – wiewohl Sophia von ihrem finsteren Plätzchen aus nur mehr die Stimmen hörte, nicht aber in die Gesichter sehen konnte.
    »Sie... sie sollte es wissen«, begann Christian – und es klang leise und kleinlaut.
    Théodore antwortete nicht – schien stattdessen jedoch heftig den Kopf zu schütteln.
    »Doch!«, bestand Christian nämlich eifrig. »Doch! Ich würde es ihr so gerne sagen. Ich will ihr nicht immer etwas vormachen müssen.«
    Jäh dachte Sophia an die kreischende Cathérine, die Christian mit der Ratte neckte und mit der er sprach, als wäre sie seine kleine Schwester. Jetzt erst begriff sie, dass er den Unhold nur gab, damit das Mädchen nichts von seiner Liebe erfuhr!
    »Nein«, widersprach Théodore. »Ich will das nicht. Du bist mein Freund und mir verpflichtet – nicht ihr.«
    »Aber...«
    »Ich sagte nein. Wenn du ihr die Wahrheit gestehen würdest – wüsste sie denn damit etwas anzufangen? Sie ahnt so wenig von dem, was auf der Welt geschieht. Es würde sie... zu sehr verwirren.«
    Sophia wagte es, sich ein wenig vorzuneigen, und erspähte jetzt zumindest Christians Gesicht. Es hatte

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