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Die Chronistin

Die Chronistin

Titel: Die Chronistin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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von ihm Gutes kommen könne...
    In den ersten Jahren war Sophia froh, an Isambours Seite manches Mal das Damenstift verlassen zu können.
    Das klösterliche Leben, das in seiner Schlichtheit und seiner Ordnung an das berechenbare, nüchterne Reich der Kindheit erinnerte, hatte ihr zwar Frieden geschenkt, aber drohte den weltgewandten Geist manchmal im Dunst übler Zänkereien und verlöschender Lebensträume zu ersticken.
    Corbeil war keine Stätte der strengen Glaubenszucht, sondern ein Heim wohlhabender Töchter, die sich – wiewohl auf dem Heiratsmarkt übrig geblieben – das Maß an Bequemlichkeit erhielten, das sie seit Kindheit an gewohnt waren. Doch weil die meisten die ewigen Gelübde niemals ablegten und im Geheimen hofften, vielleicht doch noch einen Ehemann zu finden – auch wenn sie sich erleichtert gaben, dem grausigen Kindbetttod zu entgehen –, senkte sich selten die Ruhe eines schweigsamen, strikten Tagesrhythmus’ auf ihre Gemüter.
    Hühner!, schimpfte Sophia ob des vielen Tratsches. Wenn sie ihm entkam, schnupperte sie gerne in einer größeren Welt als jener von den Stiftsmauern begrenzten und nahm in Kauf, dass Blanches Hofdamen über sie tuschelten.
    Eine von ihnen, Yolanthe de Vermont geheißen, die sich in ihrem fünfundzwanzigsten Lebensjahr – kaum gab’s mehr Hoffnung, sie würde eine gelungene Partie machen – vom Hofleben abgewandt hatte und dem Stift beigetreten war, erklärte mit nüchternen Worten, warum man immer noch über sie sprach. »Blanche hält Euch für eine üble Hexe«, erklärte sie Sophia, ohne zu zeigen, ob sie dem Urteil glaubte oder nicht.
    »Blanche ist eine gebildete Frau, ja, eine der gebildetsten in ganz Frankreich«, gab Sophia zurück. »Sie nutzte all die schlechten Gerüchte über mich, aber sie hat sie nie ernsthaft für wahr gehalten. Und was kann sie mir heute noch vorwerfen? Ist sie nicht meinetwegen in der Lage, die Geschicke des Landes zu lenken?«
    »Sie behauptet, dass Ihr Unglück über Eure Kinder gebracht habt«, erklärte Yolanthe ruhig. »Théodore mag Euch verziehen haben – Cathérine hingegen spricht kein Wort zu Euch, wiewohl sie nun schon jahrelang in diesem Stift lebt, ihr altes Leben abgeworfen hat und sich Clarisse nennt, wie die Gefährtin des Franziskus heißt. Solcherart fühlt sie sich dem Bruder – soll ich ihn so nennen? – verbunden.«
    »Es ist mir gleich, welchen Namen Cathérine sich gibt!«, fauchte Sophia und rückte hastig ab.
    Wiewohl der Welt trotz aller Abgeschiedenheit verbunden, wurden die Besuche in Orléans seltener, als das Alter mit seiner Langsamkeit jegliche zügige Lebensregung unterband.
    Sophia selbst war kaum davon betroffen. Von Jahr zu Jahr wurde sie des Verdachts gewisser, dass sie zu jenen Menschen gehörte, die zäher waren als die anderen und länger diese Welt bewohnten. Doch während sie mit fünfundfünfzig Jahren noch aufrecht und frei von Schmerzen lebte, begann Isambour langsam hinzuschwinden und schließlich so langsam zu verlöschen wie einst ihr Augenlicht.
    Gern saß sie im Klostergarten, doch länger als die Stunden dort währten jene, die sie in dem schmalen Bett zubrachte, klaglos und stumm verdorrend.
    Eines Tages empfing Sophia an ihrer statt die Abgeordneten von Blanche, die sich Isambours Gesellschaft für einen großen Tag erhoffte.
    »Wagt es nicht, ihr die letzten Jahre zu vergällen!«, zischte Sophia sie an. »Jahrzehntelang hat man an ihr gezerrt, hat sie von einem Ort zum anderen geschickt, und oft waren diese nichts weiter als schäbige Gefängnisse. Blanche hat sich früher nie um sie geschert! So soll sie denn auch jetzt nicht ihren Namen benützen, um ihre Regentinnenmacht zu stärken, sondern sie hier in Ruhe leben lassen!«
    »Aber ma Dame«, wandte einer der Herren ein. »Königin Isambour wird nicht nur in Frankreich hoch verehrt, sondern in ganz Europa. Selbst Waldemar von Dänemark, Isambours ferner Neffe, schreibt der unbekannten Tante viele Briefe.«
    »Allesamt solltet Ihr vor Scham vergehen!«, rief Sophia zornig. »Seit ich sie kenne, wird diese arme Frau für fremde Zwecke ausgebeutet. Und jetzt will sich obendrein mancher sein Heil erkaufen, indem er sich in ihrem blassen Scheine wälzt – ganz gleich, ob diese Ehrerbietung ihr nutzt oder nicht. Ich sage Euch: Das tut sie nicht. Isambour war nie von dieser Welt. Wagt es nicht, nach ihr zu greifen und sie auf den dreckigen Boden zu ziehen! Ihr Heuchler und Frömmler habt sie nicht verdient!«
    Die Herren

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