Die Chronistin
Kardinal Andolphe, Legat von St.-Siège, Guillaume de Joinville, Erzbischof von Reims. In ihrer Reihe saß auch Frère Guérin, fremd anmutend in der Tracht eines Bischofs von Senlis, die er selten trug, die Wangen immer noch gefurcht vom Unbehagen, weil der mächtige und zugleich verhasste König nicht mehr lebte. Das Knien fiel ihm schwer, vielleicht schmerzten ihn die alternden Gelenke.
Noch in der Burg zu Mantes, wo Philippe verschieden war, hatte Sophia nebst Erbarmen auch leisen Hohn geschmeckt, da er nun seine machtvolle Stellung verlieren würde.
Wie abgestorben schien aber hier inmitten einer gedämpften, hallenden Seelenmesse einstige Heftigkeit. Sie hatte sich tatsächlich entladen – in jener Ohrfeige, die sie ihm vor vielen Jahren versetzt hatte. Und vielleicht waren es auch die Worte, die ihr der sterbende König über Isambours Untat in der Hochzeitsnacht mitgeteilt hatte, die sie nun so gleichgültig stimmten – und milde.
Später, als Frère Guérin die Gemächer der nunmehrigen Königinwitwe aufsuchte, um mit ihrem Gefolge deren Zukunft zu besprechen, vertraute sie ihm das Geheimnis an.
»Ich dachte stets, ihr unbändiges Schreien sei das Einzige, womit sie sich wehrt, wenn die Welt ihr zu nahe kommt«, berichtete sie. »Es scheint jedoch, als habe jene Macht, die einst in ihr gewütet hat, auch solche Leibeskraft hervorgebracht, wie sie manch ausgewachsener Ritter nicht besitzt. Sie ist schwachsinnig und verblödet, sie kann nicht sprechen und nicht schreiben – und sie wirkt so hilflos wie ein frisch geschlüpftes Küken. Doch als der König sich auf sie legte und sie zu seinem Weibe machte, als er ihr mit seiner Hand, die schwielig war vom Führen des Schwertes, die Lippen verschloss, auf dass er ihr elendes Wimmern nicht hören müsste, so hat sie ihn an den Schultern gepackt, hat ihn nicht nur von sich gestoßen, sondern obendrein durch den ganzen Raum geschleudert, als wäre sie eine Riesin – er jedoch nichts weiter als ein Kätzchen. Erst als er sie nicht mehr berührte, ist sie wieder zusammengefallen, als hätte sie nie auch nur eine Feder heben können und als wäre jene zauberische Stärke nach dem ersten und einzigen Gebrauch auf ewig verloschen – vielleicht, weil sie ihr Ziel erreicht hat und sich hernach nie wieder ein roher, gefühlloser Mann auf sie legte.«
Frère Guérin blickte ungläubig und misstrauisch. Weder schien ihm die Enthüllung zur rechten Zeit zu kommen, noch wollte er hinnehmen, dass sie wahr wäre.
»Der König war nicht mehr bei Sinnen, als er das erzählte«, meinte er entschlossen, nachdem Sophia ihm verraten hatte, woher sie dieses Wissen nahm. »Schaut Euch die Königin... die Königinwitwe doch an. Unmöglich, dass sie irgendwelche Kräfte besitzt!«
Sophia zuckte die Schultern und folgte seinem Blick auf die kleine, schmale Gestalt, die die Trauerkleidung mit derselben Gleichgültigkeit trug wie jedes feine Gewand.
»Jetzt nicht mehr«, murmelte sie mit einem Anflug von Bedauern, »aber vielleicht damals. Und ganz gleich, was sie getan hat: Es musste etwas gewesen sein, was den König zutiefst verstört und verärgert hat – und was könnte dies sein, als dass sie sich mächtiger und stärker als er erwiesen hat?«
Frère Guérin wollte ihr kein zweites Mal widersprechen – desgleichen aber nicht das Grollen darüber verbergen, dass sie von dieser Tat fast ehrfürchtig berichtet hatte.
»Aber sie war nicht mächtiger und stärker als er«, entgegnete er mürrisch. »Er hat sie noch am nächsten Tag verstoßen.«
»Ja natürlich!«, gab Sophia ihm Recht. »Weil Ihr ihm geholfen habt – und ich auch. Gewiss, es tut mir bis heute nicht Leid, ich hatte keine andere Möglichkeit als diese, und wenn ich es war, die Isambours Kräfte für immer hat versiegen lassen, so war es eben unumgänglich auf einer Welt wie dieser. Und doch denke ich mir, dass sie ihn bewiesen hat – den Willen, stets das zu tun, was in ihr hochsteigt. Sie hat nicht auf die Folgen geachtet. Sie war unbeugsam – und irgendwie ist sie es heute noch, weil sie sich weigert, an dieser Welt Anteil zu nehmen.«
»Ha!«, lachte er bitter, als würde sie ihn mit Absicht beleidigen, als müsste er sich rechtfertigen. »Ha! Daraus zieht sie aber keinen Nutzen.«
Noch wenige Stunden zuvor hatte sie ihn reglos und gleichgültig gemustert – jetzt aber blickte sie ihn an, als wäre er der Mann von einst, so aufrecht und stur und zugleich missmutig und feige. Es war nicht alter Zorn,
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