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Die Chronolithen

Die Chronolithen

Titel: Die Chronolithen Kostenlos Bücher Online Lesen
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»Weltenführers« zu entwerfen.)
    Da hingen Pjöngjang und Ho-Chi-Minh-City. Da waren Taipeh und Macao und Sapporo; da war der Chronolith der Kanto-Ebene, der über zwei zersprengten Getreidesilos dräute. Da war Yichang vor und nach dem vergeblichen Atomschlag, das Monument erhaben und unverwundbar, der Gelbe Fluss eine sprudelnde Arterie, wo die Explosion den Damm zerrissen hatte.
    Da hing eine Satellitenaufnahme der braunen Schlammflut, die sich ins Chinesische Meer ergoss.
    Über allem das umwölkte, makellose, friedliche Antlitz von Kuin, der alles im Blick hatte.
    Sue, die mich beobachtet hatte, sagte: »Wenn man mal überlegt, dann haben wir es fast mit dem totalen Gegenteil eines Monuments zu tun. Monumente sollen Botschaften an die Zukunft sein – die Toten sprechen zu ihren Erben.«
    »Look upon my works, ye Mighty, and despair.« [xvii]
    »Genau. Aber bei den Chronolithen klingt es genau andersherum. Nicht: ›Ich war hier.‹ Eher wie: ›Ich komme. Ich bin die Zukunft, ob ihr wollt oder nicht.‹«
    »Seht auf meine Werke und habt Angst.«
    »Man muss diese Perversität geradezu bewundern.«
    »Bewundern?«
    »Ich muss dir gestehen, Scotty: Bisweilen raubt es mir den Atem.«
    »Mir auch.« Ganz zu schweigen von meiner Frau und meiner Tochter: Die hatte es mir auch geraubt.
    Es war verstörend, an Sue Chopras Wand der eigenen Obsession zu begegnen. Als hätte ich entdeckt, dass wir durch ein und dieselbe Lunge atmeten. Dabei war genau das der Grund, warum sie sich zu dieser Arbeit hatte hinreißen lassen: Hier hatte sie die Chance, buchstäblich alles über die Chronolithen zu erfahren, was es zu erfahren gab. Praktische Forschungsarbeit (Refraktionsringe zählen oder scheue Bosonen jagen) hätte ihren Blickwinkel viel zu stark eingeengt.
    Und sie konnte sich trotzdem mit der involvierten Mathematik befassen – effektiver sogar, weil ihr Wissensstand täglich aktualisiert wurde.
    »Na, was sagst du, Scotty?«
    »Zeig mir meinen Arbeitsplatz.«
    Sie brachte mich zu einem separaten Büro mit Schreibtisch und Terminal. Das Terminal war wiederum an eine Phalanx quantenorganischer Workstations angeschlossen – eine Verarbeitungskapazität, von der Campion-Miller nur träumen konnte.
    In einer Ecke saß Morris Torrance auf einem Holzstuhl, mit der Lehne an die Wand gekippt und las die Druckausgabe von Golf.
    »Gehört er mit zum Inventar?«, wollte ich wissen.
    »Ihr müsst für eine Weile miteinander auskommen. Morris muss in meiner Nähe sein, körperlich präsent sozusagen.«
    »Ihr seid gute Freunde?«
    »Morris ist mein Leibwächter, unter anderem.«
    Morris lächelte und ließ das Magazin sinken. Er kratzte sich am Kopf, eine linkische Geste, die wohl nur die Pistole zeigen sollte, die er unter dem Jackett trug. »Ich bin meistens harmlos«, sagte er.
    Wir schüttelten uns wieder einmal die Hand… herzlicher diesmal, da es nicht um eine Urinprobe ging.
    »Heute«, sagte Sue, »machst du dich mit meiner Arbeit vertraut. Als ›Codegenerator‹ bin ich dir weit unterlegen, also mach dir Notizen. Ende der Woche sehen wir weiter.«
    Genau damit verbrachte ich meinen ersten Tag. Ich besah mir weniger Sues Eingaben oder Ergebnisse als die Verarbeitungsebenen, die Protokolle, mit deren Hilfe Probleme in Regelsysteme übersetzt wurden und die Lösungen sich reproduzieren und sterben durften. Sie hatte bereits die besten genetischen Programme installiert, die auf dem Markt zu finden waren, aber sie waren schlichtweg ungeeignet (oder viel zu umständlich) für das, was sie wollte – millimetergenaue Anwendungen nämlich; früher befanden wir solche Instrumente als gut genug für eine erste Annäherung, mehr nicht.
    Morris legte Golf beiseite, ging uns im Delikatessenladen an der Ecke ein Lunchpaket holen und kaufte sich die neueste Ausgabe von Fly Fisherman. Während er sich mit Letzterer die Nachmittagsstunden verkürzte, schaute Sue regelmäßig herein, um uns anzustrahlen. Wir waren ihre Pufferzone, eine Isolationsschicht zwischen der Welt und Kuins Geheimnissen.
     
    Es war nach meiner ersten Woche beim Projekt, als mir auf der Heimfahrt in mein neues, nahezu leeres Apartment aufging, wie plötzlich und unwiderruflich sich mein Leben geändert hatte.
    Vielleicht lag es an der Monotonie der Fahrt; vielleicht am Anblick der Zeltkolonien und abgestellten Rostlauben am Straßenrand; vielleicht auch nur an der Aussicht auf ein einsames Wochenende. »Ignoranz« hat keinen guten Ruf, aber Gleichmut soll

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