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Die Chronolithen

Die Chronolithen

Titel: Die Chronolithen Kostenlos Bücher Online Lesen
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Kommens.«
    »Scheiße. Du kommst hierher mit diesem ganzen – dieser moralischen Entrüstung …«
    »Meine Tochter wird vermisst. Deshalb bin ich hier. Was daran macht dir solche Angst?«
    Sie hielt inne. Dann sagte sie: »Kait ist noch keine Woche von zu Hause fort. Sie kommt vielleicht morgen schon zurück. Davon muss ich ausgehen. Und davon, dass die Polizei alles tut, was in ihrer Macht steht. Aber ich sehe diesen Ausdruck in deinen Augen. Und den kann ich nicht ausstehen.«
    »Welchen Ausdruck?«
    »Als wärst du jeden Augenblick bereit zu trauern.«
    »Janice…«
    Sie schlug mit der flachen Hand auf den Tisch. »Nein. Scott. Es tut mir Leid. Ich bin dir dankbar für alles, was du für Kait getan hast. Ich weiß, du hast keine Mühe gescheut. Aber ich werde dir nicht aufschreiben, welchen Organisationen Whit angehört. Das ist seine Privatsphäre. Wir haben alles mit der Polizei besprochen, und dabei bleibt es, vorerst jedenfalls. Und jetzt guck nicht wieder mit diesem gottverdammten Begräbnisblick.«
    Ich war getroffen, aber ich machte Janice keinen Vorwurf, auch dann nicht, als sie aufstand und auf die sonnengebleichte Straße hinausstakste. Ich wusste, wie es in ihr aussah. Kaitlin war in Gefahr, und Janice fragte sich, was sie falsch gemacht hatte, welchen Ball sie vermasselt hatte, wie, um alles in der Welt, alles so rasch hatte schiefgehen können.
    Seit zehn Jahren stellte ich mir diese Fragen schon. Für Janice war es eine neue Erfahrung.
     
    Nach dem Mittagessen fuhr ich nach Clarion Pharma, einem großen Industriekomplex draußen, wo die Stadtrandsiedlungen an die Weizenfelder grenzen, und erklärte dem Wachmann, ich wolle zu Mr. Delahunt. Er klemmte mir eine Karte unter den linken Scheibenwischer und wies mich darauf hin, mir am Haupteingang einen Besucherausweis zu ziehen. Aber die Security von Clarion war lax. Ich parkte, betrat das Gebäude durch eine unverschlossene Tür an den Laderampen, stieg in einen Aufzug und fuhr in die Etage, auf der laut Display das Büro von Whit lag.
    Und marschierte wie selbstverständlich an seiner Sekretärin vorbei in eine anonyme Flucht aus türlosen Räumen hinein, in denen lauter adrette Männer und Frauen Telefonkonferenzen abhielten, bis ich im schmalen Korridor auf Whitman Delahunt stieß, der an einem Kühlbehälter stand und gerade seinen Becher mit gefiltertem Quellwasser leerte. Er machte große Augen, als er mich gewahrte.
    Whit sah so tadellos aus wie immer. Ein bisschen grauer an den Schläfen und etwas fülliger um die Taille, aber das tat ihm keinen Abbruch, im Gegenteil. Er trug sogar den Anflug eines Lächelns im Gesicht, das aber sofort erlosch, als er meiner ansichtig wurde. Er warf den Pappbecher in den Abfalleimer. »Scott«, sagte er. »Jesus. Du hättest anrufen können.«
    »Ich dachte, wir reden besser von Mann zu Mann.«
    »Sollten wir, und ich will nicht herzlos erscheinen, ich weiß, was du durchmachst, aber jetzt ist nicht der richtige Augenblick.«
    »Ich möchte eigentlich nicht warten.«
    »Scott, sei vernünftig. Vielleicht heute Abend…«
    »Ich finde nicht, dass ich unvernünftig bin. Seit fünf Tagen ist meine Tochter Gott weiß wo. Schläft auf der Straße, soweit ich weiß. Tut mir Leid, wenn es dich bei der Arbeit stört, Scott, aber wir müssen uns unbedingt unterhalten.«
    Er zögerte, dann blies er sich auf. »Es wäre mir verdammt peinlich, wenn ich die Security rufen müsste.«
    »Denk drüber nach und setz mich inzwischen über deinen Copperhead-Club ins Bild.«
    Seine Augen weiteten sich. »Nimm deine Zunge in Acht.«
    »Oder wir unterhalten uns da, wo wir ungestört sind.«
    »Zum Teufel mit dir, Scotty! Also gut. Jesus! Dann komm.«
    Ich folgte ihm zur Chef-Kantine. Die Warmhaltetheken waren leer, die Küche hatte für heute geschlossen. Der Raum war verwaist. Wir saßen uns an einem lackierten Holztisch gegenüber, ganz wie zivilisierte Menschen.
    Whit lockerte die Krawatte. »Janice hat es kommen sehen. Du würdest in der Stadt auftauchen und alles komplizieren. Du solltest wirklich mit der Polizei reden, Scott. Denn, was immer du im Schilde führst, ich gebe es weiter, verlass dich drauf.«
    »Du hast den Copperhead-Club erwähnt.«
    »Nein, du hast ihn erwähnt, und würdest du bitte diese scheußliche Bezeichnung unterlassen? Sie geht meilenweit an der Wahrheit vorbei. Es handelt sich um ein Bürgerkomitee, zum Kuckuck. Ja sicher, von Zeit zu Zeit wird über Abrüstung geredet, aber auch über Zivilschutz.

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