Die Chronolithen
Wir sind durchschnittliche Menschen, die sonntags in die Kirche gehen. Du darfst uns nicht danach beurteilen, was in der Zeitung steht, das sind Randerscheinungen.«
»Wie also soll ich dein Bürgerkomitee überhaupt nennen?«
»Wir sind…« Er besaß die Größe, Verlegenheit zu zeigen. »Wir sind das Twin Cities Peace with Honor Committee. [xxv] Du musst das verstehen, es steht einfach eine Menge auf dem Spiel. Die Kids haben Recht, Scott – die Rüstung verzerrt die Wirtschaft, und es gibt nicht den geringsten Hinweis darauf, dass Kanonen und Bomben etwas gegen Kuin bewirken können, wenn er denn überhaupt eine Bedrohung für die Staaten darstellt, was noch lange nicht bewiesen ist. Wir stellen die weitverbreitete Überzeugung in Frage, dass…«
»Ich will kein Manifest, Whit. Was für Leute gehören dazu?«
»Prominente.«
»Wie viele?«
Wieder stieg ihm die Röte ins Gesicht. »Etwa dreißig.«
»Und du hast Kait in die Nachwuchstruppe gesteckt?«
»Weit gefehlt. Die jungen Leute nehmen das alles viel ernster als wir… als unsere Generation, meine ich. Sie gehen nicht zynisch damit um. Das beste Beispiel ist Kaitlin. Sie kommt vom Jugendtreff nach Hause und zählt alles auf, was ein Führer wie Kuin tun könnte, wenn wir ihn nicht immer und überall bekriegen würden. Als ob man gegen einen Mann kämpfen könnte, der die Zeit kontrolliert?! Anstatt einen Weg zu suchen, die Zukunft zu instrumentalisieren.«
»Habt ihr das mal diskutiert, du und Kait?«
»Ich habe sie nicht indoktriniert, wenn du das meinst. Ich respektiere Kaitlins Meinung.«
»Aber sie hat sich auf Radikale eingelassen, richtig?«
Whit rückte sich zurecht. »Man muss sie nicht unbedingt in diese Schublade stecken. Ich kenne ein paar von den Kids. Sie übertreiben ein bisschen, aber das ist Enthusiasmus und kein Fanatismus.«
»Und alle sind spurlos verschwunden seit Samstag.«
»Mein Gefühl sagt mir, dass sie okay sind. So was kommt vor. Kids legen die GPS-Plakette ab, greifen sich ein Auto und verschwinden für ein paar Tage. Nicht schön, aber bestimmt kein Einzelfall. Tut mir Leid, wenn Kaitlin durch ein paar schwarze Schafe verleitet worden ist, Scott, aber die Jugend war noch nie ein Zuckerschlecken, nicht wirklich.«
»Wurde je über einen Hadsch gesprochen?«
»Wie bitte?«
»Einen Hadsch. Janice hat das Wort benutzt.«
»Hätte sie besser nicht. Auch ein Wort, das wir missbilligen. Ein Hadsch ist eine Wallfahrt nach Mekka. Aber die Kids meinen damit etwas anderes: die Reise zu einem Kuin-Denkmal oder dahin, wo eins erwartet wird.«
»Und du glaubst, dass sie so was vorhatten?«
»Keine Ahnung, was sie vorhatten, aber ich bezweifle, dass es ein Hadsch ist. Man kann nicht mit einem Daimler nach Madras oder Tokio fahren.«
»Du machst dir also keine Sorgen.«
Er rückte vom Tisch ab und sah aus, als wolle er ausspucken. »Das ist schon bösartig, Scott. Natürlich mache ich mir Sorgen. Die Welt ist gefährlich – gefährlicher als je zuvor, wenn du mich fragst. Ich will gar nicht daran denken, was Kait alles zustoßen kann. Deshalb will ich ja, dass die Polizei ungestört ihrer Arbeit nachgehen kann. Ich würde vorschlagen, du hältst dich daran.«
»Danke, Whit«, sagte ich.
»Und denk dran, Scott, für Janice ist es so schon schlimm genug.«
»Kann es denn schlimmer kommen?«
»Und wende dich an die Polizei. Ich meine es ernst. Ich kann dir die Arbeit auch abnehmen.«
Er hatte sich wieder gefangen. Ich stand vom Tisch auf: Ich wollte nicht länger schöne Worte über Kait hören, nicht aus seinem Mund.
Er saß da wie ein kleiner verwundeter Prinz und sah mir nach.
Aus dem Auto rief ich Janice an – ich wollte sie noch einmal sprechen, bevor Whit es tat.
Die Stadt hatte schwere Zeiten gesehen. Die Fenster, an denen ich vorbeifuhr, waren vergittert oder mit Brettern vernagelt; Discountläden, wo es früher gediegene Geschäfte gab; eingemietete Kirchen mit obskuren Namen. Der Streik der Müllabfuhr füllte die Bürgersteige mit Abfall.
Ich erzählte Janice per Handy, dass ich mit Whit gesprochen hatte.
»Du konntest wohl nicht anders, wie? Gerade als ich dachte, schlimmer kann es nicht kommen.«
Sie hatte einen Unterton, den ich nicht mochte. »Janice – hast du Angst vor ihm?«
»Nein, nicht wirklich, aber was ist, wenn er seinen Job verliert? Was dann? Du verstehst das nicht, Scotty. Eine Menge von dem, was Whit macht, ist bloß… er muss weitermachen, um voranzukommen, weißt du, was ich
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