Die Chronolithen
ich.
Sie nickte. »Für viele ist Regina Lee genau richtig und, weiß Gott, sie ist nicht aufzuhalten. Aber ich brauch das alles nicht. Glaub ich jedenfalls.«
Wir machten uns miteinander bekannt. Sie hieß Ashlee Mills und ihr Sohn hieß Adam. Adam war achtzehn und tief in das hiesige kuinistische Netzwerk verwickelt; er war seit sechs Tagen verschwunden. Genau wie Kaitlin. Also tauschten wir uns aus. Adam hatte Verbindung zu Whit Delahunts Nachwuchskader, aber auch zu einer Hand voll anderer radikaler Organisationen. Die beiden hatten sich wahrscheinlich gekannt.
»Das ist Zufall«, meinte Ashlee.
Ich verneinte. Das war kein Zufall.
Wir redeten immer noch, als die Versammlung sich aufzulösen begann und uns von den Stufen verscheuchte. Ich bot ihr an, sie irgendwo in der Nähe zu einem Kaffee einzuladen – sie wohnte in dieser Gegend.
Ashlee bedachte mich mit einem nachdenklichen Blick, er war so freimütig, dass ich ein wenig eingeschüchtert war. Sie schien eine Frau zu sein, die sich keine Illusionen über Männer machte. Dann sagte sie: »Okay. Gleich um die Ecke ist ein Café, neben der Apotheke.«
Ashlee gehörte nicht zu den Wohlhabenden, das war nicht zu übersehen. Rock und Bluse sahen aus wie Second-Hand-Sachen, gepflegt, aber schon lange nicht mehr neu. Doch sie trug sie mit einer Würde, die angeboren, nicht erworben war. Im Restaurant zählte sie Dollarmünzen ab, um ihren Kaffee zu bezahlen; ich erklärte ihr, sie sei eingeladen, und schob meine Karte über den Tresen. Sie bedachte mich wieder mit einem langen Blick, dann nickte sie. Wir fanden einen stillen Ecktisch abseits der plappernden Videotafeln.
Sie sagte: »Sie wollen mehr über meinen Sohn wissen, nicht wahr?«
Ich nickte. »Das hier ist aber kein Workshop von Regina Lee. Ich will einfach nur meiner Tochter helfen.«
»Da kann ich Ihnen nichts versprechen, Mr. Warden.«
»Das, sagen alle.«
»Und alle haben Recht, leider. Ich weiß, wovon ich rede.«
Ashlee war in Südkalifornien geboren und zur Schule gegangen, sie war nach Minneapolis gekommen, um als Sprechstundenhilfe bei ihrem Onkel zu arbeiten, einem Fußpfleger, der inzwischen an einem Aneurysma gestorben war. An der Rezeption war sie Tucker Kellog begegnet, einem Tool&Dye-Programmierer, und hatte ihn mit zwanzig geheiratet. Als Adam fünf war, hatte Tucker sie verlassen. Er hatte nie mehr etwas von sich hören lassen. Ashlee hatte die Scheidung eingereicht und hätte auf Unterhalt für das Kind klagen können, ließ es aber bleiben. Sie wolle nichts mehr mit Tucker zu tun haben, sagte sie, nicht einmal am Rande. Vor zehn Jahren hatte sie ihren Mädchennamen wieder angenommen.
Sie liebte ihren Sohn Adam, doch Adam hatte es ihr nicht leicht gemacht. »Unter uns, Mr. Warden, es gab Zeiten, da war ich verzweifelt. Selbst als er noch klein war. Wer geht schon gerne zur Schule? Aber egal was uns antreibt, jeden Tag da zu erscheinen, Pflichtgefühl oder Angst vor den Konsequenzen, mein Adam war immun dagegen. Da halfen keine Drohungen und keine Appelle.«
Mit psychiatrischen Programmen, Sonderschulen und Ausbildungsprogrammen hatte Adam Katz und Maus gespielt, manchmal auch mit dem Jugendheim. Nicht, dass er dumm gewesen wäre. »Er liest dauernd. Und nicht nur Geschichten. Und, mal ehrlich, gehört nicht auch eine Portion Grips dazu, so durchs Leben zu kommen wie er – die halbe Zeit auf der Straße? Adam ist eigentlich ein kluger Junge.«
Wenn Ashlee über ihren Sohn sprach, tat sie es mit einer Mischung aus Stolz, Schuldgefühl und Angst. Ihre großen Augen huschten hin und her, als befürchte sie, jemand könne mithören. Sie spielte mit der Papierserviette, faltete sie und öffnete sie wieder, riss sie schließlich in lange Streifen, die auf dem Tischtuch lagen wie vergebliche Origamiversuche.
»Mit zwölf ist er mal weggelaufen, aber das hatte nichts mit der Copperhead-Sache zu tun. Ich habe keinen blassen Schimmer, was Adam von diesem Kuin erwartet, abgesehen davon, dass er Städte zerstört und Menschen ins Elend stürzt. Aber er ist fasziniert von ihm. Die Art, wie er die Nachrichten verfolgt, ist fast schon erschreckend.« Sie senkte den Kopf. »Ich sag es nicht gerne, aber ich glaube, Adam mag es, wenn die Dinge so richtig zermalmt werden. Ich glaube, er identifiziert sich mit diesem Kuin. Er möchte den Fuß heben und alles zertreten, was er nicht leiden kann. Das Gerede über eine neue Art von Weltregierung ist reine Augenwischerei.«
»Hat er jemals
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