Die Chronolithen
blinden Zufall hinausgeht.«
»Warum willst du mich in Wyoming dabei haben?«
Sie blinzelte. »Will ich ja gar nicht. Ich brauche dich da nicht. Hier bist du wahrscheinlich besser aufgehoben. Aber ich darf auch nicht die Fakten ignorieren. Ich glaube… und, ja, es ist Intuition, vielleicht unwissenschaftlich, aber das ist mir schnuppe – ich glaube, du hast im letzten Akt der Chronolithen eine Rolle zu spielen. Zum Guten oder zum Schlechten, ich weiß es wirklich nicht, obwohl ich mir sicher bin, dass du nichts tun würdest, was mir schadet oder im Interesse von Kuin wäre. Ich denke, es wäre besser, du kämst mit, weil es nämlich mit dir eine Bewandtnis hat. Das mit Adam Mills ist wie eine Reklametafel. Chumphon, Jerusalem, Portillo, Wyoming. Immer du. Ob es dir gefällt oder nicht, Scotty, du spielst eine Rolle.« Sie zuckte die Achseln. »Davon bin ich überzeugt und zwar felsenfest. Aber wenn ich dich nicht überzeugen kann mitzukommen, wirst du nicht mitkommen, und vielleicht ist genau das unser Los, verbunden zu sein durch deine Verweigerung.«
»Eine solche Verantwortung darfst du mir nicht aufbürden.«
»Sagen wir so: Ich kann sie dir nicht abnehmen.«
Das klang alles reichlich verrückt. Es ist sicher meiner Mutter zu verdanken, dass ich ein besonderes Gespür für das Irrationale entwickelt habe. Schon als Kind hatte ich gleich gemerkt, wenn ihr Verstand abirrte. Ich erkannte sie wieder, die grandiosen Begründungen, das übersteigerte Selbstbewusstsein, die überall und nirgends lauernden Gefahren. Und so etwas provozierte bei mir immer die gleiche Reaktion: ein Zurückscheuen, das an Abscheu grenzte, eine jähe emotionale Vereisung.
»Erinnerst du dich an Jerusalem?«, sagte Sue. »An die jungen Leute, die getötet wurden? Ich muss oft an sie denken, Scotty. An das Mädchen, das zu mir kam, gerade als der Chronolith ankam und die Tau-Turbulenz ihren Höhepunkt erreichte. Sie hieß Cassie. Weißt du noch, was sie gesagt hat?«
»Bedankt hat sie sich bei dir.«
»Sie bedankte sich für etwas, das ich nicht getan hatte, und dann wurde sie getötet. Ich glaube, sie war so tief in der Tau-Turbulenz, wie man nur sein konnte, und dass die Tatsache ihres Todes sich über die letzten Minuten ihre Lebens ergossen hat. Ich weiß nicht genau, wofür sie sich bedankt hat, Scotty, und bin mir nicht einmal sicher, ob sie es wusste. Aber sie muss etwas geahnt haben… etwas von großer Tragweite.«
Beinah schuldbewusst wandte Sue den Blick ab, ein Ausdruck, der uns auf den Boden des rein Menschlichen herabholte. »Damit muss ich leben«, sagte sie. »Ob ich will oder nicht.«
Verliebte bevorzugen immer ein besonderes Plätzchen. Einen Strand, einen Hinterhof, eine Parkbank in der Nähe einer Bibliothek. Für Ashlee und mich war es ein wohlgepflegter Park ein paar Seitenstraßen östlich von unserem Apartment, ein gewöhnlicher Vorstadtpark mit einem betongefassten Ententeich, einem Spielplatz und einem Softballrasen. In den Tagen nach Portillo, als Ash den Verlust von Adam verwinden musste und ich mit Sue und Konsorten Schluss gemacht hatte, da waren wir oft hierher gekommen.
Hier hatte ich ihr einen Heiratsantrag gemacht. Wir hatten alles für ein Picknick dabei, aber dunkle Wolken zogen auf und plötzlich setzte Regen ein, ein heftiger Regen. Wir liefen über das Softballfeld und suchten Schutz auf den überdachten Tribünen. Die Temperatur fiel, und der nasse Wind veranlasste Ashlee, sich an meine Schulter zu kuscheln. Die riesigen Ulmen bäumten sich auf unter dem Sturm, die Äste wie Finger verschränkt, und in genau diesem Moment fragte ich Ashlee, ob sie meine Frau werden wolle, und sie küsste mich und sagte ja. So einfach und so perfekt war das.
Wir kehrten dorthin zurück.
Das manische Bestreben des frühen Jahrhunderts, die urbane Lebensqualität zu verbessern, hatte vielleicht zu viele Parks geschaffen. Aus etlichen hatte man Massenquartiere für die Armen gemacht, nicht wenige hatte man bis zur Nutzlosigkeit verkommen lassen. Unser Park war eine Ausnahme, eisern beansprucht von den örtlichen Familien, verteidigt durch eine Menge lokaler Bestimmungen und einen ehrenamtlichen Wachdienst, der nach Einbruch der Dunkelheit auf Streife ging. Wir kamen am späten Nachmittag eines Tages, der kühler war als der sengende Tag zuvor, ein Sommertag so schön, dass man ihn am liebsten zusammenfalten und in die Tasche hätte stecken mögen. Am Teich lagerten die Menschen und machten Picknick, kleine
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