Die Clans von Stratos
und gut zu überlegen, ehe sie irgendeine rasche Bewegung machte. Die Rufe der Bootsmänner jagten ihr zwar Angst ein, aber das war gewiß nicht schlimmer als diese gräßliche Vorstellung.
Die Arbeit wurde dadurch nicht einfacher, daß alles von einer dünnen Schicht Kohlenstaub bedeckt war. Jedesmal, wenn die Wotan in den Wind drehte, schickte die Ladung Anthrazit der Bizmai eine schwarze Staubwolke durch die schlecht abgedichteten Frachtluken. Glücklicherweise mußte Maia nicht in die schmutzstarrenden Schoten emporklettern, in denen sich die Matrosen mit regelrecht unheimlicher Behendigkeit umherschwangen, wie Affen, die zu einem Leben in den windigen Baumwipfeln geboren waren.
Wenn ihre Pflichten sie auf die Backbordseite führten, hielt Maia Ausschau nach der Zeus, dem Schwesternschiff, das etwa zweihundert Meter ostwärts neben ihnen herlief. Einmal erhaschte sie einen Blick auf eine schmale Gestalt, aber sie traute sich nicht zu winken. Bestimmt war es Leie, die da geschäftig und ein wenig ungeschickt auf dem Deck des anderen Frachters umherhastete.
Schließlich hatten sie die heimtückischen Küstengewässer hinter sich, und der Konvoi lag auf Kurs. Ein Nordwind kam auf, füllte die breiten Segel und brachte zusätzlich auch den Windgenerator auf dem Yachtheck in Gang, der ein schrilles Heulen von sich gab. Nun waren die Maate allem Anschein nach zufrieden, wie alles klappte, und sie riefen eine Pause aus.
Maia sank mittschiffs in sich zusammen; ihre Arme und Beine zitterten und pochten vor Anstrengung. Gewöhnt euch lieber schnell daran, sagte sie ihnen. Abenteuer bestehen zu neunzig Prozent aus Schmerz und Langeweile. Angeblich ging das Sprichwort weiter: »…und zehn Prozent sind nackte kalte Angst.« Doch Maia hoffte, diesen Teil auslassen zu können.
Eine verkrustete Kelle erschien vor ihr, dargeboten von einem stockdürren Mann mit einem überschwappenden Eimer. Plötzlich merkte Maia, wie durstig sie war. Dankbar legte sie die Lippen an die Kelle, schlürfte… und begann heftig zu würgen.
Salzwasser!
Maia spürte die auf sich gerichteten Blicke, als sie zu husten begann, und versuchte verlegen, so zu tun, als wäre nichts. Schließlich hatte sie sich so weit gefaßt, daß sie einen zweiten Schluck hinunterbrachte und sich dabei ins Gedächtnis rief, daß sie jetzt nur noch eine von vielen heimatlosen Sommerlingen war, nicht mehr die Tochter eines reichen Oberstadt-Clans, der seinen eigenen Brunnen besaß. In den ärmeren Stadtteilen holten Vars und selbst die Klonfrauen der unteren Kasten ihr Trinkwasser aus dem Meer, und viele von ihnen lernten nie etwas anderes kennen.
»Gesegnet sei die Stratos-Mutter, die uns so milde Meere geschenkt hat«, lautete ein hämisches Sprichwort, das natürlich zu keiner Liturgie gehörte. Und gesegnet sei Lysos, daß sie uns die entsprechenden Nieren geschenkt hat, damit wir es vertragen. Der Durst gewann die Oberhand über den faden Salzgeschmack, und Maia trank die Schöpfkelle ohne weitere Schwierigkeiten leer. Zu ihrer Überraschung schenkte der alte Mann ihr ein breites Grinsen, bei dem alle seine Zahnlücken zum Vorschein kamen, und zauste ihr die kurzgeschnittenen Haare.
Abwehrend zuckte Maia zurück, rief sich aber gleich zur Ordnung und entspannte sich wieder. Es brauchte mehr als die vorübergehende Hitze harter Arbeit, um in einem Mann sexuelles Verlangen auszulösen. Außerdem müßte sich ein Mann in einer Notlage befinden, um sich mit einer Jungfrau wie ihr abzugeben.
Genaugenommen erinnerte der Greis sie ein wenig an den alten Bennett in der Zeit, als in seinen alten Augen noch Interesse am Leben funkelte. Zögernd erwiderte sie das Lächeln. Der Matrose lachte und ging weiter, um noch anderen Durstigen Wasser zu bringen.
Eine Pfeife ertönte. Damit war die Arbeitspause beendet, aber zumindest kamen die Befehle jetzt in etwas größeren Abständen. Anstelle des hektischen Segelbrassens und -reffens traten jetzt, da sich das träge Schiff durch Flachwassergebiet allmählich ins offene Meer hinaus bewegte, Aufgaben wie Aufräumen und das Verschalken der Luken. Während sie ihre Arbeit erledigte, schaute sich Maia immer wieder verstohlen um, aber sie merkte, daß ihr die Männer viel weniger geheimnisvoll und fremdartig erschienen, als sie es erwartet hatte. Sie wirkten genauso konzentriert und effizient bei der Arbeit wie jede Clanhandwerkerin in ihrer Werkstatt oder ihrem Geschäft. Ihr Lachen war voll und ansteckend, und wenn Maia sich
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