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Die Clans von Stratos

Die Clans von Stratos

Titel: Die Clans von Stratos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Brin
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Blick in Naroins Augen zu urteilen, wurde es nicht viel leichter, wenn man älter war.
     
    An diesem Abend erfuhr sie, wer überlebt hatte – und wer gestorben war: Thalia, Kapitän Poulandres, Baltha, Kau, die meisten Radis, die meisten Piraten, fast die gesamte Besatzung der Manitou, einschließlich des jungen Navigators, der Maia und ihrer Zwillingsschwester geholfen hatte, die Weltwand in ihrer überwältigenden Komplexität zu entschlüsseln. Eine grausige Liste. Selbst Naroin, die unzählige formelle und informelle Kämpfe erlebt hatte und ziemlich abgebrüht war, konnte kaum glauben, daß so viele in und bei Jellicoe ihr Leben hatten lassen müssen. Ist das der Krieg? überlegte Maia. Zum ersten Mal hatte sie das Gefühl, daß sie jetzt nicht nur abstrakt, sondern tief in ihrem Innern verstand, was die Gründerinnen dazu veranlaßt hatte, in diesem Bereich solch drastische Entscheidungen zu treffen. Dennoch war sie fest entschlossen, nicht zuzulassen, daß die Perkiniten den Vorfall für Propagandazwecke ausnutzten. Wenn ich irgendwie die Möglichkeit dazu bekomme, werde ich dafür sorgen, daß die Tatsachen bekannt werden. Poulandres und seine Männer wurden zum Kampf gezwungen. Es war alles andere als ein Beispiel dafür, wie Männer die Beherrschung verlieren.
    Was war es dann gewesen? Bestimmt würde es Leute geben, die den Sündenbock in Renna sahen, dessen Gegenwart und schädlicher Einfluß zusammen mit der Drohung, daß noch mehr seiner Art kämen, in unterschiedlichen Schichten der stratoinischen Gesellschaft das Schlimmste ans Tageslicht brachte. In Maias Augen war das, als würde man dem Opfer die Schuld an allem zuschieben. Doch man konnte es zweifellos so hindrehen.
    Nach dem Essen schob Hullin Maia noch einmal an Deck, und dort begegnete sie Kiel zum zweiten Mal. Jetzt sah Maia die dunkelhäutige Frau schon genauer, nicht mehr durch einen Schleier eines Grolls, der längst in die Vergangenheit gehörte. Kiel hatte alles verloren – ihre engsten Freunde, ihre Freiheit, die größte Hoffnung für ihre politischen Ziele. Plötzlich fiel es Maia ganz leicht, freundlich zu ihrer ehemaligen Hausgenossin zu sein, sie zu trösten und mit ihr zu fühlen. Was zur Folge hatte, daß die wilde, unzähmbare Kiel voller Dankbarkeit in Tränen ausbrach.
    Als die Dämmerung hereinbrach, erschien am westlichen Horizont ein Glitzern. Maia zählte fünf, sechs… und schließlich zehn sich langsam drehende Strahlen, deren rhythmisches Aufblitzen mit beruhigender Regelmäßigkeit meilenweit über den Ozean schweifte. Von den Landkarten, die sie als Kind studiert hatte, erkannte sie die unterschiedlichen Geschwindigkeiten und Farben und wußte auch die Namen: Conway, Ulam, Turing, Gardner… berühmte Leuchtturm-Reservate der Mechant-Küste. Und hinter dem fernen Rucker Beacon entdeckte sie die sanft blitzenden Diamantenlichter eines Hafens und der ihn umgebenden Hügel. Das nächtliche Schauspiel von Ursulaborg.
     
    Man brachte sie in einen Tempel. Nicht in das großartige, marmorverkleidete Bauwerk, das die Stadt von den nördlichen Klippen beherrschte, sondern zu einer bescheidenen einstöckigen Rückzugsstätte auf einem umzäunten Hektar Waldgebiet, einige Kilometer stromaufwärts vor der geschäftigen Metropolis. Wie Maia gleich erkannte, wurde die halb ländliche Umgebung künstlich erhalten, sorgsam gepflegt von den kleinen, aber wohlhabenden Clanfesten in der Nähe. Klare Bäche plätscherten an Gärten und Komposthügeln, an Windmühlen und kleinen Werkstätten vorbei. Hier konnten Generationen von Kindern spielen, aufwachsen und sich in aller Ruhe um ihre Familienangelegenheiten kümmern, im Vertrauen auf eine Zukunft, in der Veränderungen – falls sie überhaupt eintraten – zumindest in gemächlichem Tempo vonstatten gehen würden.
    Das von einer Mauer umgebene Tempelgrundstück wirkte bescheiden. Die Kapelle trug die üblichen Symbole, mit denen man die Stratos-Mutter und die Gründerinnen ehrte, doch Maia vermutete, daß hier nicht alles orthodox zuging. Wächterinnen in ledernen Uniformen patrouillierten am Zaun entlang. Innen wurde die ruhig-heitere Atmosphäre, die man an einem solchen Ort erwartete, von einer Schicht knisternder Spannung überdeckt.
    Außer Naroin und ihrer jüngeren Schwester glichen sich die Frauen untereinander nicht.
    Als sie an der Kapelle vorüber waren, gingen die Lugars, die Maias Sänfte trugen, auf ein bescheidenes Holzhaus zu, das etwas abseits vom Hauptgebäude

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