Die Clans von Stratos
Anwesenheit störte das angenehm normale Gefühl, während sie durch die belebten Geschäftsstraßen zogen.
Zum ersten Mal, seit sie mit Leie in Lanargh gewesen war, fühlte sich Maia vom stratoinischen Alltag umgeben. Handel, Verkehr und Konversation strömten in alle Richtungen. Maia sah unzählige unbekannte Gesichter in dreifacher, fünffacher oder sogar in altersmäßig gemischter achtfacher Ausführung. Zweifellos wäre es zwei unschuldigen Zwillingsschwestern aus dem Nordosten schrecklich exotisch vorgekommen, wenn sie hier auf ihrer ersten Reise an Land gegangen wären. Inzwischen aber kamen Maia die kleinen Unterschiede zu Port Sanger banal und unwichtig vor. Was ihr auffiel, waren die Ähnlichkeiten, die sie nun mit neuen Augen sah.
In einer backsteinverkleideten Werkstatt, die zur Straße hin offenstand, sah man eine Familie von Handwerkerinnen, die feines Geschirr herstellten. Eine ältere Matriarchin studierte die Geschäftsbücher und feilschte um eine Ladung Ton, die gerade von drei identisch aussehenden Transportarbeiterinnen angeliefert wurde. Unterdessen schufteten hinter Maia mehrere Klonfrauen mittleren Alters am Brennofen, behende Jugendliche erlernten die Kunst, mit ihren langen, geschmeidigen Fingern den Ton auf der Töpferscheibe zu verteilen und dort zu den haltbaren, feinen Gefäßen zu formen, für die ihr Clan in der Gegend ohne Zweifel großes Ansehen genoß.
Maia mußte ihre Phantasie nicht anstrengen, um sich eine andere Szene vorzustellen. Die Mauern zogen sich in die Ferne zurück. Einfache Bänke und Töpferscheiben wurden von Maschinenreihen ersetzt, die exakt darauf eingestellt waren, den Ton in computergesteuerte Schablonen zu drücken, diese unter Glasurspray und Hitzelampen durchzuführen, bis sie in großen Stapeln fertig wieder zum Vorschein kamen, perfekt, unberührt von Menschenhand.
Die Freude am Handwerk. Die ruhige, heitere Gewißheit, daß jede Arbeiterin in einem Clan ihren Platz hatte – einen, den auch ihre Töchter ihr eigen nennen konnten. All das würde verlorengehen.
Während die Sänftenträger weitertrabten, sah Maia den Stand, an dem der Töpferclan seine Waren feilbot. Sie erhaschte einen Blick auf die Preise… für ein einziges Gefäß wurde mehr verlangt, als eine Vararbeiterin in vier Tagen verdiente. So viel, daß ein bescheidener Clan einen angeschlagenen Teller mehrmals reparieren würde, ehe man sich einen neuen kaufte. Maia wußte Bescheid. Selbst in der wohlhabenden Lamatia-Feste aßen die Sommerkinder selten von intaktem Geschirr.
Wenn man das nun mit tausend Produkten und Dienstleistungen multiplizierte, die allesamt mit Hilfe angewandter Technik verbessert, vervielfacht und unermeßlich viel preiswerter wurden – welche Gewinne entstehen auf diese Weise?
Und außerdem – was passiert, wenn eine dieser Klontöchter zur Abwechslung einmal etwas anderes ausprobieren möchte?
Sie erspähte eine Gruppe kleiner Jungen, die um einen geduldigen Lugar herumhüpften und dann in Richtung Park davonstoben. Sie waren die einzigen männlichen Wesen, denen Maia heute, mitten im Winter, begegnet war. Die anderen hielten sich näher beim Wasser auf, obwohl sie zu dieser Jahreszeit keinen Einschränkungen unterworfen waren. Aber nachdem Maia so lange in Gesellschaft von Männern gewesen war, fand sie es plötzlich seltsam, sie nicht mehr um sich zu haben. Auch Vars wie sie bekam man kaum zu Gesicht. Außer auf dem Tempelgebiet waren sie ebenfalls eine verschwindend kleine Minderheit.
Als sie zum Park kamen, stieg Maia vorsichtig aus der Sänfte und ging eine kurze Strecke zu Fuß, bis zu einem ummauerten Felsvorsprung, von dem man auf Ursulaborg hinabsehen konnte. Zu ihren Füßen lag eine der größten Städte der Welt; sie und Leie hatten immer davon geträumt, sie einmal zu besuchen. Die Stadt überstieg mit Sicherheit alles, was Maia bisher gesehen hatte, aber jetzt kam sie ihr dennoch eng vor. Sie wußte, daß Ursulaborg in die Westentasche jeder echten Metropolis auf fast jeder Phylumwelt gepaßt hätte… außer natürlich auf denen, die sich gegen das hektische Genie eines Homo technologicus und für den Pastoralismus entschieden hatten.
Renna hatte die Errungenschaften von Lysos und den Gründerinnen mit echtem Respekt betrachtet, obwohl er überzeugt war, daß sie den falschen Weg eingeschlagen hatten.
Und was glaube ich? fragte sich Maia. Es gibt Kompromisse. Soviel wußte sie. Aber gibt es eine wirkliche Lösung?
An Renna zu denken, tat
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