Die Clans von Stratos
auf den Schienen nun einige Erfahrung gewonnen hatte, wußte Maia, daß Frauen und Männer durchaus fähig waren, auch in komplexen Unternehmen zusammenzuarbeiten.
Kriminelle Machenschaften eingeschlossen?
Die blonde Frau lag ausgestreckt auf den Jutesäcken, einen Arm über die Augen gelegt, und schnarchte leise. Seufzend stand Maia auf. Ich weiß, ich werde es bereuen.
Sie machte einen zögernden Schritt. Und noch einen. Ein Bodenbrett quietschte, und sie zuckte zusammen.
Ganz vorsichtig blickte sie nach unten. Durch den Staub sah man die Nägel, die zeigten, wo sich die tragenden Verstrebungen befanden. Noch behutsamer schlich sie weiter und kauerte schließlich direkt neben der schlafenden Frau.
Die Reisetasche war aus grobem Stoff gewebt, mit einem Muster aus abstrakten, miteinander verschlungenen geometrischen Figuren. Ein leises Summen ließ vermuten, daß irgendwo ein Metallteil im Rhythmus der magnetischen Impulse der Lokomotive vibrierte. Als Maia den Schloßmechanismus untersuchte, entdeckte sie, daß das einfache Schlüsselloch lediglich zur Tarnung diente. Drei kleine Knöpfe ragten an der Seite hervor, und mit einem lautlosen Seufzer erkannte Maia eine äußerst kostspielige technische Vorrichtung. Sicherlich gab es einen Code, nach dem die Knöpfe in einer bestimmten Reihenfolge gedrückt werden mußten; sonst würde ein Alarm losgehen.
Behutsam zog Maia sich zurück und holte ein Stück dünnen, steifen Draht, mit dem gewöhnlich schwere Frachtstücke zusammengebunden wurden. Nachdem sie sich noch einmal vergewissert hatte, daß ihre ›Assistentin‹ schlief, begann sie, den Draht zwischen die Fäden des schweren Gewebes zu stecken. Mit einem Ruck war der Draht durchgestoßen, und Maia spürte einen weichen Widerstand, vermutlich Tizbes Kleider. Als weiteres Herumstochern zu keinen neuen Erkenntnissen führte, zog Maia den Draht wieder heraus und wiederholte den Vorgang an einer anderen Stelle. Mit demselben Ergebnis.
Ich kann mich ja auch irren… in vielerlei Hinsicht. Maia ging in die Hocke und dachte nach. Ihre Vernunft drängte sie, das Unternehmen aufzugeben.
Doch Neugier und Dickköpfigkeit waren stärker. Sie verlagerte ihr Gewicht, um aus einem anderen Winkel an die Tasche heranzukommen…
Wieder knarrte ein Bodenbrett, und es klang wie ein sterbendes Tier. Maia hielt den Atem an. Es kann doch gar nicht so laut gewesen sein! Bestimmt kommt es mir nur so vor, weil ich so nervös bin. Sie musterte Tizbe und überlegte, was sie wohl sagen würde, wenn sie aufwachte und Maia hier sitzen sah. Die junge Klonfrau schmatzte leise im Schlaf und veränderte ihre Lage ein wenig, dann kam sie wieder zur Ruhe und schnarchte etwas lauter. Mit trockenem Mund manövrierte Maia ihr Werkzeug an eine neue Stelle und steckte es wieder durch das Gewebe. Es stieß auf Widerstand, drang schließlich durch und blieb dann mit einem leisen Klimpern stecken.
Aha!
Maia wiederholte das Experiment mehrmals, bis sie sich eine grobe Vorstellung vom Inhalt des Gepäckstücks machen konnte. Für eine Var auf Reisen schien Tizbe bemerkenswert wenige persönliche Dinge bei sich zu tragen – und statt dessen eine Menge schwerer Glasflaschen.
Auf Zehenspitzen schlich Maia zurück, bis sie endlich wieder sicher hinter ihrem Schreibtisch saß. Sie warf den Draht weg. Nachdenklich kaute sie an der Unterlippe. So, jetzt weißt du, daß Tizbe ein Kurier ist und etwas Geheimnisvolles mit sich herumträgt. Aber du kannst immer noch nicht beweisen, daß etwas Illegales im Gang ist. Die ganze Leisetreterei, das Geflüster am Hafen, reiche Klonfrauen, die sich als arme Vars ausgaben – das alles konnte durchaus auf ein Verbrechen hindeuten. Vielleicht gibt es aber auch einen legitimen Grund für die Heimlichtuerei, beispielsweise etwas rein geschäftlicher Natur.
Ein zweiter Aspekt der Angelegenheiten bereitete Maia noch mehr Kopfzerbrechen. An dem Chaos in Lanargh war das Pulver möglicherweise zumindest zum Teil schuld. An dem Unfall in Clay Town zweifellos. Kann etwas, das soviel Ärger verursacht, überhaupt legal sein?
Theoretisch waren alle drei Gesellschaftsschichten vor dem Gesetz gleichberechtigt. In der Praxis jedoch brauchte man viel Zeit, um sich im Sumpf planetarischer, regionaler und lokaler Gesetzgebung zurechtzufinden, ganz zu schweigen von den Präzedenzfällen und vielfältigen Traditionen, die seit der Gründung und teilweise sogar noch von der Alten Erde weitergereicht worden waren. Große Clans
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