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Die Company

Die Company

Titel: Die Company Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Littell
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sind.«
    »Auf die verrückten Magyáren«, wiederholten die anderen an Wisners Tisch, tranken einen Schluck Wein und hofften, dass es damit erledigt wäre; Wisners Stimmungsschwankungen waren mittlerweile Besorgnis erregend.
    Einige Gäste an den Nachbartischen warfen peinlich berührte Blicke in Richtung der ungehobelten Amerikaner.
    Wisner legte den Kopf schief und spähte nach oben zur Kuppel, als würde er dort nach Inspiration suchen. »Auf einen heutzutage rar gewordenen Rohstoff«, fuhr er fort. »Mag man ihn nennen, wie man will – Kaltblütigkeit in Krisenzei ten, Tapferkeit, Unerschrockenheit, Mut, zu den eigenen Ü berzeugungen zu stehen, Beherztheit, aber, verdammt, am Ende läuft es doch nur auf ein und dasselbe hinaus.« Und dann brüllte er übermütig das Wort. » Schneid! «
    Jack sagte ernst: »Verdammt, darauf trinke ich gern.«
    »Ich auch«, stimmte Millie zu.
    Wisner beugte sich über den Tisch, um mit ihnen anzustoßen. Jack und Millie prosteten einander zu; sie beide und Wisner waren auf einer Wellenlänge. Wisner nickte bitter und kippte den Rest seines Weins hinunter. »Wo war ich?«, fragte er, und seine Augen trübten sich, als er wieder in eine dunklere Stimmung fiel.
    Botschafter Thompson signalisierte, dass er die Rechnung haben wollte. »Ich denke, wir sollten für heute Schluss machen«, sagte er.
    »Ja, machen wir Schluss für heute«, pflichtete Wisner bei. »Und was hatten wir nicht heute für einen Tag! Einen Tag, den wir nie vergessen werden, einen Tag der Niedertracht.« Er sank wieder auf seinen Stuhl und drehte den langen Stiel seines Weinglases zwischen den Fingern. »Das Problem in unserer Welt ist«, brummte er, »die Menschen glauben, sie können das große Los ziehen, auch wenn sie die Augen verschließen. Aber das stimmt nicht. Denn dann greift man daneben.«

 
    11 Budapest,
Donnerstag, 8. November 1956

    I
    n der kleinen Kapelle der Kilian-Kaserne rührte Elizabet in dem Topf, der auf einem offenen Feuer stand. Es war die dritte Suppe, die sie aus denselben Hühnerknochen gekocht hatte. Hin und wieder kamen ein paar von den rund achtzig Überlebenden hinunter in die »Kilian-Küche« und füllten ihre Blechnäpfe aus dem Topf. Sie hockten sich neben das Feuer, um sich zu wärmen, tranken die dünne Hühnerbrühe und witzelten über das Restaurant, das Elizabet aufmachen würde, sobald die Russen aus Budapest verjagt worden waren.
    In einem Zimmer unter dem Dach schrieb Ebby eine weitere Nachricht nach Wien und reichte sie Zoltán, der das schwache Funksignal suchte. Die Autobatterie war fast leer, und der Zigeuner ging davon aus, dass das ihre letzte Meldung sein würde. So oder so war klar, dass Kilian – umzingelt von russischen Fallschirmjägern, unter dauerndem Granatbeschuss, im Trommelfeuer der Maschinengewehre – nicht mehr lange durchhalten würde. Zoltán begann, die Morsetaste zu bearbeiten:
     
    Situation völlig hoffnungslos – Proviant und Munition ausgegangen – russische Lautsprecher versprechen Amnestie für alle, die sich ergeben – Überlebende unsicher ob sie weiterkämpfen oder verhandeln sollen – alle einig Russen nach Verrat an Nagy und Maléter nicht vertrauenswürdig aber keine anderen Möglichkeiten mehr – falls sie kapitulieren gebe ich mich aus als – Der Spannungsanzeiger an Zoltáns Sender flackerte kurz und erlosch dann. Der Zigeuner schüttelte die Batterie, überprüfte die Kontakte und erklärte finster: »Das Scheißding hat den Geist aufgegeben.«
     
    Während Scharfschützen die russischen Truppen in Schach hielten und auf alles schossen, was sich auf der Straße bewegte, versammelten sich die übrigen Überlebenden, darunter auch die Verwundeten, die noch gehen konnten, im Kasernenhof vor der Kapelle. Árpád, das volle Haar verfilzt, die Augen vor Müdigkeit tief in die Höhlen gesunken, verteilte Zigaretten und drehte sich selbst eine mit den letzten Krümeln Tabak. Er zündete sie an, stieg auf ein Geländer und musterte die angespannten jungen Gesichter. Dann begann er, leise auf Ungarisch zu sprechen.
    »Er sagt, das Corvin-Kino ist gestern an die Russen gefallen«, übersetzte Elizabet für Ebby. »In der Stadt wird geschossen, was vermuten lässt, dass noch vereinzelte Kommandos unterwegs sind, aber es wird von Stunde zu Stunde stiller. Er sagt, uns fällt die Ehre zu, die letzte Bastion des organisierten Widerstands in der Stadt zu sein. Wir haben nichts mehr zu essen. Wir haben noch einige hundert

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