Die Company
Die Cosa Nostra plane anscheinend, den Killer nach der Ermordung mit einem Schnellboot von der Insel zu schaffen. Piñeiro schloss sogleich, dass der Anschlag auf Castros Leben vermutlich nicht weit von einem Hafen entfernt stattfinden werde.
Starik konnte nur die Achseln zucken. »Ich überlasse es Ihren Leuten«, sagte er, »die fehlenden Puzzleteilchen einzufügen.«
Piñeiro sah ihn mit einem kalten Glitzern in den Augen an. »Das werden wir.«
Kurz nach elf ertönte ein leises Trommeln an der Tür der Suite im obersten Stock des Hotels am Rande von Havanna. Starik, dessen spindeldürre Beine unter einem groben Nachthemd hervorragten, tapste zur Tür und spähte durch den Spion. Drei kleine Mädchen, deren schmächtige Körper durch die Fischaugenlinse gedrungen und perspektivisch verkürzt aussahen, standen kichernd auf dem Flur. Starik entriegelte die Tür und öffnete sie. Die Mädchen huschten in ihren weißen Baumwollunterhemden auf nackten, schmutzigen Füßen an ihm vorbei ins Zimmer. Die Größte von den dreien, mit einem ovalen Gesicht, das von blonden Locken umspielt wurde, wollte etwas auf Spanisch sagen, doch Starik legte einen Finger an seine Lippen. Er ging um die Mädchen herum, betrachtete ihre vorspringenden Schulterknochen, die flache Brust und falschen Wimpern. Dann hob er nacheinander ihre Hemden hoch. Die gefärbte Blondine hatte bereits Schamhaare und wurde umgehend weggeschickt. Die beiden anderen durften sich in das große Bett legen, das direkt unter den Spiegeln an der Decke stand.
In der ewigen Dämmerung seines Eckbüros saß James Jesus Angleton über den Schreibtisch gebeugt und zündete sich eine neue Zigarette an. Von zweieinhalb Packungen am Tag waren seine Fingerspitzen nikotingelb, und sein Büro und alles darin war von Tabakrauch durchdrungen; seine Mitarbeiter behaupteten, sie müssten nur an den Unterlagen riechen, die sie zu bearbeiten hatten, um sagen zu können, ob sie schon über den Schreibtisch ihres Chefs gegangen waren. Er nahm wieder seine Lupe zur Hand und hielt sie über ein Foto. Es war mit einem starken Teleobjektiv von einem Dach eine halbe Meile vom Flughafen entfernt aufgenommen worden und zeigte, nach mehrfacher Vergrößerung, das grobkörnige Bild eines Mannes, der aus einer soeben in Havanna gelandeten Iljuschin ausstieg. Der Mann schien sich gegen die grelle Sonne zu ducken, die ihm ins Gesicht schien. Lichtreflexe tanzten auf etwas Metallischem in seiner linken Hand. Zweifellos ein Kurierkoffer, der vermutlich mit einer Kette an seinem Handgelenk befestigt war.
Aber dieser Mann war kein gewöhnlicher Kurier. Er war groß, hatte ein schmales Gesicht, tief liegende Augen, schütteres Haar und trug einen schlecht sitzenden Anzug. Ein langer, dünner, weißlicher Bart fiel ihm auf die Brust.
Angleton kramte ein bisschen herum und zog dann die Meldung eines Company- Agenten in Havanna hervor, der von einem Gespräch berichtete, das er auf einer Cocktailparty mit angehört hatte; Che Guevara und Manuel Piñeiro waren in Moskau mit einem führenden KGB-Mann namens Starik zusammengekommen, dem die Kubaner den Spitznamen »Weißer Bart« gegeben hatten.
Die Zigarette zwischen Angletons Lippen bebte angesichts der Möglichkeit – ja, der großen Wahrscheinlichkeit! –, dass er nach all den Jahren auf ein Foto seines Erzfeindes, des berüchtigten Starik, blickte.
Unwillkürlich kam ihm das Wort CHOLSTOMER in den Sinn, und er sprach es laut aus. Kürzlich hatte ein Rechtsgehilfe im Büro der Staatsanwaltschaft in Rom, der einer von Angletons Informanten war, von Gerüchten berichtet, dass die Vatikanbank möglicherweise große Geldsummen aus Osteuropa gewaschen habe. Der ursprüngliche Tipp war von einem italienischen Kommunisten gekommen, der als Informant für die Staatsanwaltschaft arbeitete; dem Informanten zufolge lief diese Geldwäsche-Operation, in die auch die größte italienische Privatbank, die Banco Ambrosiano verwickelt war, unter dem Codenamen CHOLSTOMER. Die Summen, um die es angeblich ging, waren derart horrend, dass der leitende Staatsanwalt laut aufgelacht hatte, als ihm die Gerüchte zu Ohren kamen. Ein ganz junger Staatsanwalt war mit der Sache betraut worden, doch seine Ermittlungen fanden ein jähes Ende, als er mit seinem Motorboot in der Lagune von Venedig kenterte und ertrank. Kurz darauf wurde der kommunistische Informant tot aus dem Tiber gefischt, angeblich Opfer einer Überdosis Rauschgift. Der leitende Staatsanwalt,
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