Die Company
der von dem zeitlichen Zusammentreffen der beiden Todesfälle unbeeindruckt blieb und überzeugt war, die ganze Affäre sei nichts als politische Propaganda, hatte die Untersuchung eingestellt.
Angleton betrachtete ein zweites Foto, auf dem Piñeiro zu sehen war, wie er den größeren Mann ungelenk umarmte. Die Tatsache, dass Piñeiro persönlich zum Flughafen gekommen war, um den Russen zu begrüßen, untermauerte die Vermutung, dass der Besucher und der Grund seines Besuches außerordentlich wichtig waren.
Angenommen, der Mann auf dem Foto war wirklich Starik, was machte er dann in Havanna? Angleton spähte in das Zwielicht seines Büros, suchte nach dem Faden, der ihn zu den richtigen Antworten führen würde. Das Einzige, was einen Mann wie Starik nach Kuba führen würde, waren Geheiminformationen, die er niemandem sonst anvertrauen wollte. Castro wusste bereits, was jeder Kubaner wusste, dass nämlich die Company in Guatemala Exilkubaner ausbildete, die in Kuba landen und eine Gegenrevolution auslösen sollten. Was Castro nicht wusste, war, wo und wann sie landen würden. Innerhalb der CIA wurde diese Information strengstens geheim behandelt. Es gab kaum fünfzig Leute, die wussten wo, und höchstens zwei Dutzend, die wussten wann.
Im Laufe der Jahre hatte man immer wieder Bruchstücke verschlüsselter sowjetischer Botschaften dechiffrieren können und war dabei auf Hinweise gestoßen, die auf die Existenz eines sowjetischen Spions namens SASHA hindeuteten, der in Washington tätig war. Angleton ging davon aus, dass dieser Maulwurf im Zentrum der Company arbeitete, und das bedeutete, dass man mit dem Schlimmsten rechnen musste: dass er nämlich zu den wenigen zählte, die Zeitpunkt und Ort der Invasion kannten. Vielleicht wusste SASHA sogar von dem supergeheimen Plan, Castro zu töten. Vor seinem geistigen Auge sah Angleton eine Kette: von SASHA zu einer Kontaktperson zu Starik zu Piñeiro zu Castro.
Die Kontaktperson interessierte Angleton besonders. Einige Wochen zuvor hatte ein FBI-Mitarbeiter ihm aufschlussreiche Dinge berichtet. Seine Abteilung hatte einen alten Kommunisten namens Max Cohen aufgespürt, der 1941 seinen Namen geändert hatte und in den Untergrund gegangen war, vermutlich auf Anweisung des KGB. Das FBI war rein zufällig über ihn gestolpert. Er hatte seinem alten Parteifreund, dessen Trauzeuge er gewesen war, zur Silberhochzeit eine Glückwunschkarte geschickt: »Von deinem alten Waffengefährten, der unsere Freundschaft nie vergessen hat und nie vom rechten Weg abgekommen ist, Max.« Das FBI hatte die Karte in die Finger bekommen, auf Fingerabdrücke untersucht und festgestellt, dass sie von einem Max Cohen stammten, der 1941 untergetaucht war. Das Postamt, wo die Karte abgestempelt worden war, lag in einem Stadtteil von Washington, D.C. Man hatte das Telefonbuch des Bezirks durchforstet und einhundertsiebenunddreißig Teilnehmer mit dem Vornamen Max gefunden. Von da an war es nur noch eine Frage unermüdlicher Laufarbeit, bis das FBI die Suche auf einen Max Kahn eingeengt hatte, den Besitzer eines Getränkeladens. Agenten hatten ihn und seine beiden Angestellten wochenlang beschattet und dann die Wohnungen der Verdächtigen durchsucht. Es war ein Volltreffer gewesen: In der Wohnung über dem Laden hatten die Agenten ein Versteck mit Chiffriercodes, Mikrofilmen, einem Microdot-Lesegerät, einem kleinen Vermögen in bar und einem Radio, das auf Kurzwellenempfang eingestellt werden konnte, entdeckt. FBI-Chef Hoover hatte gehofft, dass einer von den dreien ihn zu Amerikanern führen würde, die für die Sowjetunion spionierten, doch nach zehn Tagen verlor er die Nerven und beschloss, sie festzunehmen. Der Angestellte, der sich Dodgson nannte – männlich, 31, mittelgroß, kräftig –, war dem FBI irgendwie durch die Lappen gegangen und spurlos verschwunden, was Angleton vermuten ließ, dass er mit einer zweiten Identität ausgestattet war.
Angleton hätte glatt das Rauchen aufgegeben, wenn er dafür diesen Dodgson hätte verhören können. Auf der Suche nach weiteren Anhaltspunkten hatte er das FBI gebeten, ihm eine Liste aller Kunden des Getränkeladens seit Anfang der Vierzigerjahre zu geben. Dabei war er auf Philbys Namen gestoßen. 1951 hatte Eugene Dodgson mehrfach Alkoholika an Philbys Adresse geliefert. Plötzlich passte alles zusammen: Dodgson war die Kontaktperson zwischen Philby und seinem sowjetischen Führungsoffizier gewesen. Was bedeutete, dass Dodgson auch der
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