Die Company
zu suchen.«
»Ich habe alle Meldungen zwischen uns und Washington genau unter die Lupe genommen, Ezra. Ich habe keine undichte Stelle entdecken können.«
Der Rabbi zuckte mit den knochigen Schultern.
Der Zauberer nahm seinen Kräutertee, roch daran, verzog das Gesicht und stellte die Tasse wieder hin. »Als ich Wischnewski auf Herz und Nieren geprüft habe, hat er mir erzählt, es gäbe einen sowjetischen Maulwurf im MI6.«
Der Rabbi merkte auf. »Im MI6! Das ist unvorstellbar.«
»Die Briten wurden über die Wischnewski-Sache nicht informiert. Also bin ich der Dumme. In Berlin operieren achtzig Geheimdienste, mit einem Wust an Filialen und Tarnorganisationen. Wo soll ich da anfangen, Ezra? Ich hab gedacht, ich bitte die Franzosen, mir eine Liste zu geben, welche SDECE-Operationen in den letzten ein, zwei Jahren gescheitert sind.«
Der Rabbi hob die Hände und studierte die frisch manikürten Fingernägel. Nach einer Weile sagte er: »Vergiss Berlin. Vergiss die Franzosen – die sind so traumatisiert, weil sie den Krieg verloren haben, dass sie den Gewinnern nicht mal die Uhrzeit sagen.«
Ben Ezra nahm einen Bleistift und schrieb eine Nummer auf einen Block. Er riss das Blatt ab, faltete es und gab es Torriti. »An deiner Stelle würde ich in London anfangen«, sagte er. »Setz dich mit Elihu Epstein in Verbindung – er ist ein wandelndes Lexikon. Vielleicht kann er dir helfen.«
»Wie helfe ich seinem Gedächtnis auf die Sprünge?«
»Erzähl ihm irgendetwas, das er noch nicht weiß. Dann soll er dir was über einen Russen namens Kriwitski erzählen. Lass ihn einfach reden. Wenn jemand weiß, wo die Leichen vergraben sind, dann Elihu.«
In einer Londoner Telefonzelle wählte der Zauberer die Geheimnummer, die der Rabbi ihm gegeben hatte.
Eine griesgrämige Stimme am anderen Ende fragte: »Ja?«
»Mr. Epstein bitte.«
»Wen soll ich melden?«
»Swan Song.«
Mit erheitertem Unterton sagte die Stimme: »Einen Moment bitte, Mr. Song.« Es knackte in der Leitung, als das Gespräch weitergeleitet wurde. »Harvey, guter Junge. Wie ich höre, ackerst du für die Company in Berlin. Was führt dich nach London?«
»Wir müssen uns unterhalten.«
»Ach ja? Wo und wann?«
»Kite Hill, am Musikpavillon in Hampstead Heath. Da stehen Bänke mit Blick auf London. Ich werde dort sitzen und die Luftverschmutzung bewundern, die wie eine Wolke über der Stadt schwebt. Passt dir zwölf Uhr mittags?«
»Ausgezeichnet.«
Unten am Hang ließ ein großer Mann im Nadelstreifenanzug einen chinesischen Drachen steigen, der mit akrobatischer Wendigkeit im Aufwind hin und her schoss. Irgendwo in Highgate schlug eine Kirchenuhr die volle Stunde. Ein kleiner Mann mit runden Schultern, die Zähne dunkel verfärbt, stapfte den Hügel hinauf und ließ sich schnaufend neben dem Zauberer auf einer Bank nieder.
»Sie erwarten jemanden, nicht wahr?«, sagte er, während er seinen steifen Hut abnahm und neben sich legte.
»Allerdings«, sagte der Zauberer. »Ist ein Weilchen her, Elihu.«
»Die Untertreibung des Jahrhunderts. Schön zu sehen, dass du noch voll da bist, Harv.«
Elihu Epstein und Harvey Torriti waren während des Krieges einige Monate im selben Haus in Palermo einquartiert gewesen, Elihu als Offizier einer der härtesten britischen Einheiten, die vom ehemaligen U-Boot-Stützpunkt in der Bucht von Augusta an der Ostküste Siziliens aus Luftangriffe auf den Stiefel von Italien gestartet hatte. Der Zauberer hatte unter dem Decknamen SWAN SONG eine OSS-Operation geleitet, deren Ziel es war, die Mafia-Bosse der Insel für die Zwecke der Alliierten einzuspannen. Mit Hilfe seiner persönlichen Mafia-Kontakte hatte Torriti Elihu mit Informationen beliefern können, die etlichen Kameraden von Elihus Einheit das Leben retteten. Das hatte Elihu ihm nie vergessen.
»Was führt dich nach London?«, fragte Elihu jetzt.
»Der Kalte Krieg.«
Elihu wieherte auf, ein unverkennbarer, weinerlicher Ton, der von seinen ständig verstopften Nebenhöhlen herrührte. Er war die rechte Hand von Roger Hollis, dem Chef der MI5-Abteilung, die für Sowjetspionage in England zuständig war. Jetzt musterte er seinen Kumpel aus Kriegstagen. »Du siehst fett, aber fit aus. Bist du fit?«
»Fit genug. Und du?«
»Ich habe leichte Gicht, und mein Quacksalber behauptet, schlechte Zähne sind ein Zeichen für moralischen Verfall. Außerdem plagt mich ein ständiges Summen im linken Ohr, seit im Krieg eine Mine ganz in meiner Nähe
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