Die Company
Lichtgeschwindigkeit an mir vorbei, Jack. Mit meinem inneren Auge –«
»Ja?«
»Mit meinem inneren Auge blinzele ich und friere die Bilder unserer körperlichen Nähe ein.«
»Genau wie ein Fotoapparat – der friert die Bilder auch ein. Beschreib deine Bilder.«
»Ich versuch’s. Ich sehe mich, wie mir die Worte fehlen, um dich zu begrüßen, und wie ich die Hände hebe, um mir die Ohrringe abzunehmen.«
»Die Geste hat mir den Atem geraubt, Lili. Für mich war das so, als würde jede Intimität, die das Leben zu bieten hat, damit anfangen, dass du dir die Ohrringe abnimmst.«
»Ich sehe, wie du dir das Hemd über den Kopf ziehst. Ich sehe, wie du einen hässlichen Gegenstand aus deinem Gürtel ziehst und ihn unter das Kopfkissen schiebst. Ich sehe zu, wie du mir das Kleid aufknöpfst. Ich falte jedes Kleidungsstück zusammen, das du mir ausziehst, und lege die Sachen ordentlich auf einen Stuhl, was dich belustigt – ich vermute, dir als Amerikaner wäre es lieber, ich würde sie einfach auf den Boden fallen lassen. Ich spüre, wie du mir mit dem Handrücken über die Brust streifst. Ich stelle fest, dass du ein guter Liebhaber bist.«
»Das kommt immer auf die Frau an«, sagte Jack, und als er sich das sagen hörte, merkte er, dass es stimmte. »Wir Männer sind bei sehr wenigen Frauen gute Liebhaber, durchschnittliche bei den meisten und lausige bei einigen.«
Eine Weile dösten sie, wurden dann hellwach, als die ersten Geräusche von der Straße und die ersten grauen Streifen Tageslicht ins Zimmer drangen. Lili stand auf, wusch sich hinter dem Wandschirm und zog sich an. Dann gingen sie hinunter in das kleine Frühstückszimmer der Pension im französischen Sektor.
Draußen auf dem Bürgersteig verfinsterte sich Lilis Gesicht. »Und wie sagen wir jetzt Auf Wiedersehen?«
»Gar nicht«, erwiderte Jack. »Wenn ich als Kind am Meer war und bis zu den Knien im Wasser stand, ist mir immer ganz schwindlig geworden, wenn ich zusah, wie die Wellen mir den Sand unter den Füßen weggezogen haben. Wenn du gehst, fühle ich mich genauso.«
»Ich bin der Sand unter deinen nackten Füßen.« Lili wandte sich zum Gehen. »Das Leben ist eine Anhäufung von kleinen Fehlern«, sagte sie unvermittelt.
»Wieso sprichst du von Fehlern?«, fragte Jack verärgert. »Willst du damit sagen, unsere gemeinsame Nacht war ein Fehler?«
»Nicht doch. Damit will ich dir nur in ein, zwei Sätzen die Geschichte meines Lebens erzählen«, erklärte sie. »Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass das Problem nicht so sehr die Anhäufung von kleinen Fehlern ist, es sind die großen, die wir dabei machen, wenn wir die kleinen korrigieren wollen.«
Am selben Abend nahm die Wanze in SNIPERs Fußboden Stimmen wahr und aktivierte den Sender, der in der Deckenlampe in der Wohnung darunter verborgen war. Am nächsten Morgen hatte Jack das Transkript der Aufzeichnung auf dem Schreibtisch liegen: im Großen und Ganzen das belanglose Alltagsgeplauder eines Paares in den eigenen vier Wänden. Irgendwann wurde eine Weile nichts gesagt, und dann folgte ein leises, intensives Gespräch zwischen einem älteren Mann (offenbar SNIPER) und einem jüngeren Mann mit polnischem Akzent.
Jacks Interesse war geweckt. Das Gespräch drehte sich um bakterielle Waffen, die auf der Ostseeinsel Rügen getestet wurden, um Uranherstellung in Joachimsthal am Grimnitzsee und die neuesten Kernspaltungsexperimente der Sowjets in Zentralasien. Dann plauderten die beiden Männer über gemeinsame Freunde und darüber, was aus ihnen geworden war. Plötzlich erwähnte der Pole, dass er den Verdacht habe, die Russen hätten einen wichtigen Spion im britischen Geheimdienst sitzen. Woher er das wisse, wollte der ältere Mann wissen, der offenbar verblüfft war. Die Unterhaltung wurde unterbrochen, als leise Schritte ins Zimmer kamen und RAINBOW etwas sagte. Die Männer bedankten sich für Weinbrand, und es wurde angestoßen. Schritte entfernten sich, wohl weil RAINBOW das Zimmer wieder verließ. Der ältere Mann wiederholte seine Frage: Woher sein Gast von einem russischen Spion im britischen Geheimdienst wisse. Der polnische Geheimdienst UB sei im Besitz eines streng geheimen Dokuments, erwiderte der Pole. Er habe das Dokument mit eigenen Augen gesehen. Es sei die Kopie einer vom britischen MI6 zusammengestellten Liste mit Namen polnischer Staatsbürger, die von der MI6-Dienststelle in Warschau als potenziell verwertbar und förderungswürdig erachtet wurden. Die Liste
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