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Die Comtessa

Die Comtessa

Titel: Die Comtessa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulf Schiewe
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Das Auftauchen dieses Peire Rogier jedoch schien alles wieder verändert zu haben. Belustigt beobachtete Aimar, wie die jungen Ritter sich etwas betreten zurückgezogen hatten, während der Umgang mit dem Spielmann Ermengarda so offensichtlichen Auftrieb verlieh.
    Wie Aimar inzwischen wusste, war sie äußerst behütet aufgewachsen und sich deshalb ihrer Wirkung auf die jungen Männer in keiner Weise bewusst. Die Reise musste eine Offenbarung für sie sein. Sie kam ihm wie ein junger Vogel vor, der zum ersten Mal die Schwingen hebt. Dabei waren die Tölpel alle in sie verliebt, bis hin zum kleinen Jori. Ein wenig sogar er selbst, dachte er belustigt. Jedenfalls genoss er es, sie zu beobachten. Sie erinnerte ihn an die Frau, die er jahrelang heimlich und aus der Ferne geliebt hatte, immer noch liebte, obwohl für ihn so unerreichbar. Er seufzte. Da sangen die Dichter von der Liebe, wie dieser Rogier, und alle zollten ihnen Beifall. Und doch lebte man in einer Welt, in der kaum jemand seine Liebe ausleben durfte. Und wenn, dann wurde man dafür bestraft. Wie Abaelardus.
    Auch Ermengarda ritt eine Weile allein. Sie beobachtete, wie die Bauern Kohl, Rüben und Herbstäpfel in die Scheunen fuhren oder ihre Pflüge ausbesserten. Kraut wurde verbrannt und die Asche zur Düngung auf die Felder gestreut. Gänse gaben Warnschreie ab, wenn die Reiter sich näherten, während das Vieh gemächlich kauend die letzten warmen Sonnenstrahlen des Jahres genoss.
    Auf einem Hof, an dem sie vorüberzogen, wurde gerade geschlachtet. Frische Schweinekadaver hingen vom Balken, Gedärme lagen dampfend auf einer Bank zum Säubern. Fleisch, Darm, Haut und Knochen, alles war nützlich. Nichts, was Gott diesen Menschen schenkte, würde verschwendet werden. Der Gedanke erfüllte sie mit Achtung vor dem Bauernstand, gerade weil sie selbst in Reichtum aufgewachsen war und sich über solche einfachen Dinge nie hatte Gedanken machen müssen.
    Wenn
Fraire
Aimar glaubte, Ermengarda wüsste nicht um ihre Wirkung auf die jungen Männer, dann irrte er. Hat es der Herrgott nicht gefügt, dass schon kleine Mädchen mehr über die Liebe wissen als so mancher erwachsene Mann? Das Deuten von heimlichen Blicken lernen sie ebenso früh wie ein Gespür dafür, den Sinn ungesagter Worte zu erahnen. Und so war es auch Ermengarda nicht entgangen, dass sie auf dieser Reise weit mehr an Aufmerksamkeit und bewundernden Blicken empfing als je zuvor in ihrem Leben. War es Sünde, sich ein wenig darin zu sonnen?
    Gegen Mittag stießen sie auf die grünen Wasser des unteren Flusslaufs der Tet und fanden eine hölzerne Brücke. Es war ein klarer Tag, und von hier aus hatte man eine wunderbare Fernsicht auf die Bergkette des Pireneus und die weiße Spitze des Canigou, des höchsten Berges dieser Gegend, dem das Volk endlose Legenden andichtete. Wie Gottes Hochsitz ragte er in den Himmel.
    Endlich, am späten Nachmittag nach langem Ritt, erreichten sie die ersten Hügel. Hier löste rauhe Wildnis die Felder der Ebene ab. Immer weiter bergan schlängelte sich der Weg zwischen felsigen und dichtbewaldeten Anhöhen, bis sie am frühen Abend schon von weitem einen einsamen Wachtturm hoch oben auf einer Berghöhe gewahrten.
    Um diesen Berg wand sich die Talstraße, bis der Blick sich auf ein enges, aber gut bewirtschaftetes Tal öffnete. Und da vor ihnen, auf einem steilen Felshügel, befand sich das vorläufige Ziel der Reise, die Burg Castel Nou dels Aspres, ein finster und trutzig dreinblickender, zinnenbewehrter Klotz wie aus dem Felsen selbst gehauen. Dies war der Sitz der Vizegrafen von Vallespir.
    »Das Vallespir gehört zur Grafschaft Besalú«, erklärte
Fraire
Aimar. »Und als der letzte Graf von Besalú vor dreißig Jahren ohne Nachkommen starb, fiel sein Erbe an seinen Schwiegervater, den alten Grafen von Barcelona.«
    »Die Burg sieht nicht sehr einladend aus«, sagte Ermengarda.
    »Es heißt, die zwei Brüder, die hier herrschen, seien etwas eigenwillig. Sie liegen auch oft im Streit mit ihren Nachbarn, doch ich habe keinen Grund, an ihrer Treue zu Barcelona zu zweifeln.«
    Unterhalb der Trutzburg schmiegte sich ein Dorf an den Felsen. Das Bauernvolk starrte sie neugierig an, als sie durch das Tor ritten. Während die Pferde sich die steilen Gassen zur Burg hinaufmühten, bekreuzigte sich Ermengarda voller Dankbarkeit. Hier endlich würde sie freundliche Aufnahme erfahren und Schutz vor ihren Feinden.
    ***
    In Narbona war seit Tagen Ermengardas Flucht das einzige

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