Die Comtessa
in Elna verfügt, dass auch Mönche dort wohnen durften, obwohl in getrennten Unterkünften. Und so war eine eigentümliche, gemischte Klostergemeinschaft entstanden, die von der Welt abgeschieden und völlig auf sich gestellt ihr Dasein fristete.
Hier hatten Ermengarda und ihre Gefährten Unterschlupf gefunden. Und dass die Priorei nicht mehr zum Vallespir gehörte, sondern sich auf dem Gebiet der Vizegrafschaft Cerdanha befand, hatte ihnen ein zusätzliches Gefühl von Sicherheit vermittelt.
Die Priorin,
Magistra
Bertrada, war eine ausgemergelte Frau in fortgeschrittenem Alter. Auch wenn sie gebeugt ging und ihr Antlitz von tausend Falten durchfurcht war, herrschte sie gütig, wenn auch mit Autorität, über ihre Schäfchen.
Die alte Dame verstand sich auf Kräuterkunde und hatte über die vielen Aderlasse, die Raimons Leib geschwächt hatten, nur den Kopf geschüttelt.
Drei lange Tage wütete das Fieber, aber regelmäßiges Säubern und Umschläge mit Johanniskraut und Ringelblume zogen langsam das Gift aus der Wunde.
Magistra
Bertrada kam täglich, um den Fortschritt zu begutachten. Immer wieder, auch wenn es höllisch schmerzte, stopfte sie ihre Kräuterpaste unmittelbar in den Wundkanal, um ihn offen zu halten, damit der Eiter abfließen und sich keine neuen Entzündungen bilden konnten.
Nach einer Woche war die schlimmste Gefahr gebannt. Raimon aß wieder und unterhielt sich mit Ermengarda, die während des Fiebers nicht von seiner Seite gewichen war. Stündlich hatte sie seine heiße Stirn mit kaltem Bergwasser gekühlt und ihm aufmunternde Worte zugeflüstert.
Inzwischen heilte die Wunde gut, und er schien wieder ganz der Alte, wenn auch etwas bleich und abgemagert. Während die anderen sich am heutigen Tag auf der Jagd vergnügten, wohnten Ermengarda und Raimon wie schon oft dem
nonus
bei, dem Nachmittagsgebet in der kleinen Klosterkirche.
Das romanische Gotteshaus, wie so viele andere auch der Jungfrau Maria geweiht, war im Vergleich zu den prachtvollen Kirchen der Städte ein bescheidener Bau. Und doch war alles, was die Klostergemeinschaft in den Jahren hatte erübrigen können, jeder Ertrag, jede noch so kleine Stiftung, in die Verschönerung ihrer Kirche gegangen. Mönche und Nonnen mochten in ärmlichen Hütten leben, doch hier gab es Marmor und gute Steinmetzarbeit zu bewundern, nicht überall, aber in bescheidenem Umfang hier und da. Wie zum Beispiel die übermannshohe Sängertribüne, die auf marmornen Säulen ruhte und das langgezogene Kirchenschiff in zwei Abschnitte unterteilte.
Auf ihr standen Mönche und Nonnen im Hymnus vereint und lobten klangvoll den Namen des Herrn. Die geübten Stimmen füllten den hohen Raum und hallten wie überirdisch von Decken und Mauern zurück, als sängen Gottes Engel selbst im Chor.
Nach dem Gebet leerte sich die Kirche, die Klostergemeinschaft ging wieder ihrem Tagwerk nach, und es wurde still.
Ermengarda und Raimon traten hinaus in die Kälte der überdachten, säulengefassten Galerie, die wie ein hoher Söller gut dreißig oder vierzig Fuß über Gemüsegarten, Wohnhütten und Ställen thronte. Von hier hatte man einen herrlichen Ausblick über das ganze Tal. Das abschüssige Gelände und der steile Fels, auf dem die Kirche stand, erlaubten keinen Platz für einen Kreuzgang. Die Galerie jedoch war ein herrlicher Ersatz.
Ermengardas Finger folgten den marmornen Umrissen der Figuren auf den Kapitellen der kaum mannshohen Säulen. Immer wieder entdeckte sie Neues, Mensch und Fabelwesen, Löwen, Greifen, verzerrte Fratzen. Was mochten diese Bildnisse bedeuten? Auf der steinernen Brüstung zu sitzen, so wie jetzt in der Stille eines sonnigen Nachmittags, und den Blick über schneebedeckte Wälder und ferne Berge schweifen zu lassen, das erfüllte das Herz mit Frieden und auch ein wenig Dankbarkeit für Gottes Schöpfung.
Tief unten aus dem Tal drangen entfernte Stimmen zu ihnen herauf. »Das müssen sie sein«, rief sie erfreut und starrte hinunter, um Arnaut, Severin und Felipe zu entdecken, aber ihr Blick konnte den Wald nicht durchdringen.
»Vielleicht haben sie heute Glück.«
»Komm. Es ist kalt«, sagte Raimon und führte sie in den niedrigen Saal, der sich an die Galerie anschloss, eine Art Versammlungsraum, selten genutzt, wie es schien.
Es war auch hier nicht besonders warm, aber immerhin brannte ein Feuer für sie im Kamin, und für den Durst stand eine irdene Kanne Most auf dem Tisch. Hier hatten sie viele Nachmittage verbracht, während
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