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Die Comtessa

Die Comtessa

Titel: Die Comtessa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulf Schiewe
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die anderen die Wälder durchstreiften.
    Raimon war ein angenehmer Gesprächspartner, etwas schüchtern, nie drängte er sich auf. Sie hatte viel von ihm gelernt. Über Steuereinnahmen, Schiffszölle, den Salzhandel. Er hatte ihr erklärt, wie gewinnbringend es wäre, Häuser in den neuen Stadtteilen wie Vila Nova zu bauen, besonders auch im westlichen Vorort Belveze Coyran, der immer beliebter wurde. Schiffswerften sollten gefördert werden, denn ohne Schiffe, besonders auch Kriegsschiffe, könne Narbona nie zu einer bedeutenden Handelsmacht aufsteigen. All dies nahm sie mit großer Wissbegierde auf.
    Doch heute stand ihr nicht der Sinn nach diesen Dingen.
    »Ich vermisse Bruder Aimar«, sagte sie leise. »Ich wünschte, er lebte noch und könnte hier bei uns sitzen. Wir würden ihm zuhören, wie er aus seinen Büchern erzählt. Ich mochte seine Stimme. Nicht so schön wie Rogiers, aber wohltuend dennoch.«
    Sie schwiegen eine Weile und gedachten der verlorenen Gefährten. »Rogier würde uns jetzt ein Liebeslied singen«, fuhr sie fort. »Was ist mit dir? Weißt du keines?«
    Raimon zuckte mit den Schultern. »Ich bin kein Sänger und tu mich schwer mit Gedichten. Kann sie mir kaum merken.« Dann dachte er nach. »Außer vielleicht diesem hier.«
     
    Lass! q’ieu d’amor no hai conquis
    mas can lo trebaill e l’affan;
    ni res tan grieu no’s convertis
    com fai cho q’ieu vauc desziran;
    ni tal enveia no’m fai res
    con fai cho q’ieu non puosc haver.
     
    Ach, von der Liebe hab ich nichts gewonnen
    Als Leid und Kummer;
    Kein Ding ist schwerer zu erringen
    Als das, was ich begehr;
    Doch nichts gibt mir mehr Verlangen
    Als das, was mir ist verwehrt.
     
    Als er endete, wurde er rot und sah verlegen auf seine Stiefelspitzen. Aber Ermengarda merkte es nicht einmal. Die Schwermut in den Worten hatte sie berührt.
Kein Ding ist schwerer zu erringen als das, was ich begehr.
Und was begehrte sie? Sie wusste es nicht. Und doch saß ihr ein Verlangen in der Brust, das sich weder fassen noch erklären ließ.
    »Von wem ist das?«
    »Cercamon.«
    »Ah.« Sie hatte von diesem Cercamon reden hören. Ein berühmter
trobador.
Ob er kommen würde, wenn sie ihn einlud, irgendwann einmal in der Zukunft?
    »Bringt denn Liebe wirklich nur Kummer und Leid?«, fragte sie. »Was meinst du?«
    Durch die vielen Stunden, die sie in den Wochen seiner Genesung miteinander verbracht hatten, war Raimon ihr so vertraut geworden, dass sie keine Scheu empfand, sich mit ihm über solche Dinge zu unterhalten.
    »Ich glaube schon«, sagte er. »Deshalb habe ich mir den Vers gemerkt. Liebe ist nur ein schöner Traum, ohne jemals in Erfüllung zu gehen.«
    »Niemals?«
    »Selten, glaube ich. Die Römer hielten sie für eine Krankheit.«
    »Dann sollte man lieber nicht davon träumen.« Sie lachte. »Wie die guten Frauen dieses Klosters. Die haben der Liebe entsagt. Sind sie damit glücklicher?«
    »Da musst du sie schon selbst fragen. Obwohl … dass sie so ganz der Liebe entsagt haben, bezweifle ich.« Er grinste.
    »Wie meinst du?«
    »Eigentlich dürfte es hier ja keine Kinder geben, oder? Aber es gibt sie, obwohl man versucht, sie vor uns zu verstecken.«
    »Du meinst …« Sie wagte den Satz nicht zu Ende zu sprechen, konnte aber ein Lachen nicht unterdrücken. »Dann hast du also unrecht, und es gibt doch Erfüllung.«
    »Ich glaube, du spielst mit mir und drehst mir das Wort im Munde um«, sagte er.
    »Vielleicht weil ich mehr davon verstehe als du«, neckte sie ihn. Aber gleich wurde sie wieder ernst. »Nein. Ich versuche es nur zu verstehen. Meine Mutter war eine gute Frau, aber ich glaube, mein Vater war ihr wenig zugetan. Stattdessen hat er Ermessenda geliebt. Ein garstiges Weib.« Da, jetzt hatte sie es zum ersten Mal laut gesagt. Aber es stimmte, la Bela war ein schreckliches Weib, wenn man hinter ihr angenehmes Äußere schaute. »Wie soll man das verstehen, Raimon? Kannst du es erklären?«
    »Ich glaube, nichts, was die Liebe betrifft, lässt sich erklären.«
    Ermengarda dachte darüber nach. War der Mensch nur Spielball unbegreiflicher Gefühle? Und wer war dann der
joglar?
    ***
    »Schneid ihm den Weg ab«, brüllte Severin.
    Arnaut preschte vor, um den Keiler daran zu hindern, in einem Tannengehölz zu verschwinden, denn zwischen den dichtstehenden Bäumen hätten sie ihm zu Pferde nicht folgen können.
    Der Eber wechselte scharf die Richtung und versuchte nun, hinter Felipe eine Lücke zu finden, aber Severin schloss auf,

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