Die Comtessa
Felipe.
Severin stieg vom Pferd. Er ging in die Hocke, prüfte Größe und Tiefe der Spuren, besah sich ihre Kanten, suchte nach winzigen Verwehungen, die sich in den Abdrücken gesammelt haben könnten. Dann richtete er sich auf und grinste.
»Es hat gestern geschneit, und heute Morgen hatten wir ein wenig Wind. Trotzdem ist die Fährte scharf und sauber. Ich würde sagen, die ist frisch.«
»Also los. Worauf warten wir?«, sagte Arnaut.
Er blies sich in die froststarren Hände. Dann packte er den Speer fester und setzte Amir mit einem Fersendruck in Bewegung. Severin saß auf und rückte wieder an die Spitze. Er war der erfahrenste Fährtenleser unter ihnen. Schon als kleiner Junge war er oft mit dem Vater auf der Jagd gewesen.
Es war ein klarer Tag. Der Wald lag still. Nur ein paar Krähen waren zu hören. Vorsichtig folgten sie den Spuren bachabwärts. Ein leichtes Lüftchen wehte ihnen entgegen. Das war gut, denn solange der Wind ihnen ins Gesicht blies, würden sie die Schwarzkittel überraschen können. Hinter Felipe, den seine Wunde nicht mehr schmerzte, ritt Jori auf seinem Maultier. Er hatte so lange gebettelt, bis sie ihn mitgenommen hatten.
Schwerter, Kettenpanzer und die schweren
gambais
hatten sie im Kloster zurückgelassen und hielten sich stattdessen mit Schafspelzen und wollenen Umhängen warm. Als Jagdwaffen dienten ihre Reiterspeere. Severin allein trug einen Saustecher, den ihm einer der Mönche geliehen hatte, ein Speer mit kräftigem Schaft, breiter Klinge und Parierstange, um das Tier auf Abstand zu halten, denn Wildschweine können gefährlich werden.
Sie kamen an eine Stelle, da hatten die Sauen den Schnee aufgewühlt und nach Eicheln gesucht. Severin fand frische Losung, einiges davon sogar noch warm.
»Die sind nicht weit«, raunte er.
Die Fährte führte jetzt vom Bach weg durch einen Buchenwald. Hohe Stämme und wenig Unterholz. Auch hier fanden sie zerwühlten Schnee und freigescharrten Waldboden. Und dann entdeckten sie die Tiere, schwarz in ihrem Winterfell.
Severin hob die Hand. Sie zügelten die Pferde und verhielten sich still. Ein paar hundert Schritt tiefer im Wald zwischen den Bäumen hatten die Wildschweine ihre Nasen im Schnee und wühlten nach Bucheckern. Es war, wie Severin gesagt hatte, eine Bache und ihre Jungen. Die größeren Jungtiere trugen schon das dunkle Fell und waren wahrscheinlich ebenfalls Weibchen. Ein mächtiger Keiler näherte sich der Bache, schnupperte an ihr und versuchte, sie zu besteigen. Aber die Sau wich aus und setzte sich mit dem Hinterteil in den Schnee, bis er sich trollte. Offensichtlich hielt sie nichts von seinen Annäherungsversuchen.
Severin machte Handzeichen, dass sie den Keiler jagen und sich jetzt verteilen sollten.
Der Wind stand gut. Langsam pirschten sie sich näher. Der Atem der Pferde bildete Dampfwolken in der klaren Winterluft. Das Wild bemerkte sie nicht, denn der Schnee verschluckte die Hufgeräusche. Da schnaubte eines der Pferde. Die Bache erstarrte und warf den Kopf hoch, blickte sich misstrauisch um. Dann stieß sie ein schrilles Quieken aus und galoppierte in Windeseile davon, die Jungtiere im Gefolge.
Der Keiler, fast einen Klafter lang mit massigem Schädel und dicken gelben Hauern, starrte aus bösen Augen in ihre Richtung. Die hochgestellten Kammborsten ließen ihn noch wuchtiger erscheinen. Er scharrte gereizt mit den Hinterhufen, dann wandte er sich ab und folgte der Bache, jedoch in würdevollem Trott, als sei er über die Jäger erhaben.
Sie gaben den Pferden die Sporen. Die Sauhatz hatte begonnen.
***
Die Priorei Serrabona, vor etwa siebzig Jahren unter der Regel des heiligen Augustinus von Hippo gegründet, lag auf halber Hanghöhe in einem Tal von wilder Schönheit, schwer zugänglich und weit abseits jeder menschlichen Behausung.
Von solchen Neugründungen gab es einige im Land. Es war das Verlangen, durch Demut, harte Arbeit, aber vor allem durch das Leben in Stille und Einsamkeit dem Schöpfer näherzukommen. Diese kleinen, tapferen Klostergemeinschaften waren beliebt beim Volk. Man bewunderte die frommen Brüder und Schwestern, die so unverzagt der wilden Natur ihren Lebensunterhalt abtrotzten.
Die Priorei war ursprünglich ein Frauenkloster und wurde von einer Priorin geleitet, auch
magistra
genannt. Aber da das Überleben in der Wildnis die Kräfte der Frauen oft überstieg, besonders das Freilegen von neuen Ackerflächen, das Baumfällen und Ausgraben hartnäckiger Wurzeln, hatte der Bischof
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