Die Comtessa
stehenließ, um einen Spaziergang durch die sprießenden Felder zu machen.
»Nach seinem schrecklichen Erlebnis ist er ein wenig wunderlich geworden«, meinte Rogier, als Rudel außer Hörweite war.
»Was für ein Erlebnis?«
»Seine angebetete
domna,
fragt mich nicht, wer sie gewesen ist, hatte ihn nach langem Schmachten endlich erhört und heimlich zum ersehnten Liebesspiel in ihre Kammer gebeten.«
»Hört, hört«, grinste Severin und rückte näher.
»In seiner Ungeduld war er schon früh zur Stelle, und als er sie nicht vorfand, zog er sich in froher Erwartung die Kleider aus und legte sich auf ihr Lager. Wenig später öffnete sich die Tür, und herein stürmten Höflinge, zerrten ihn aus dem Bett und jagten ihn unter Johlen und Gelächter splitternackt aus der Kammer.«
»Que garça«,
stöhnte Severin.
»In der Tat«, nickte Rogier. »Rudel konnte es lange nicht verwinden. Hat es sogar in Verse gefasst.« Er trug die Worte mit leiser Stimme vor:
Totz temps n’aurai mon cor dolen,
quar aissi’s n’aneron rizen,
qu’enquer en sospir e’n pantays.
Mein Herz wird für immer daran leiden,
Denn dass sie lachend davonliefen,
Das verfolgt mich im Traum und in meinen Seufzern.
»Seitdem meidet er die Nähe der Damen an den Höfen, die er besucht. Er sagt, eine erdichtete Liebe sei tausendmal besser als eine echte.«
»Da mag er recht haben«, entgegnete Arnaut grimmig.
Rogier grinste. »Zumindest ist sie treuer.«
Die ersten Sitzungstage der Versammlung der Fürsten wurden zur öffentlichen Geißelung für Ermengarda.
Es begann damit, dass einige Tage zuvor ein Bote in Narbona mit der Nachricht ankam, dass der Graf von Barcelona selbst unterwegs sei, aber wann er eintreffen würde, ließ sich nicht sagen. Man würde ohne ihn beginnen müssen. Erzbischof Leveson versuchte deshalb, die eigenen Pflöcke möglichst zeitig einzuschlagen und die Versammlung auf seine Sicht der Dinge einzustimmen, bevor der Katalane die Stadt erreichte.
Eine angemessene Unterbringung für all die hohen Herren zu finden, war nicht leicht gewesen. Und über Wochen hatte es Streit gegeben, wer wen beherbergen würde, wobei es Leveson gelang, dass die Trencavel-Brüder, Roger de Carcassona und Raimon de Besier, bei ihm abstiegen, während Guilhem de Montpelher und
Coms
Hug de Rodes sich im vizegräflichen Palast einquartieren ließen. Für die übrigen Fürsten kleinerer Grafschaften und Bischöfe des Landes fanden sich Unterkünfte bei den Adelshäusern der Stadt. Überall waren nun fremde Ritter anzutreffen, Geistliche, Leibwachen, Bedienstete, Schreiber und Ratgeber. Die Geschäfte der Herbergen, Tavernen und Hurenhäuser erlebten eine kurze, aber heftige Blüte.
Unter dem Vorwand, es gäbe keine
aula
groß genug für eine solche Versammlung, hatte der Erzbischof entschieden, das
concilium
in der Kathedrale selbst abzuhalten, was der Veranstaltung etwas Ehrwürdiges, von Gott Gewolltes verlieh, außerdem Levesons Bedeutung als Vermittler würdig unterstrich und seinen Einfluss stärkte.
Im Inneren des Kirchenschiffs hatte man zwei gegenüberstehende Tribünen errichtet, dazwischen an der Stirnseite der überhöhte Thron des Erzbischofs. Arnaut kam diese Anordnung einem Tribunal gleich, zumal für Ermengarda nur ein unscheinbarer Platz in der vordersten Reihe vorgesehen war.
Aller Augen waren auf sie geheftet, als sie mit ihrem kleinen Gefolge die Kirche betrat. Wer war diese junge Frau, die es gewagt hatte, die Macht von Tolosa herauszufordern? In den Gesichtern spiegelte sich Neugierde und halb belustigtes Wohlwollen ebenso wie Stirnrunzeln oder gar offene Ablehnung. Unmöglich zu sagen, wie die allgemeine Stimmung war.
Die Trencavel-Brüder, Roger de Carcassona und Raimon de Besier, saßen in vorderster Reihe, der erste weißhaarig, behäbig und den Sechzigern nahe, sein Bruder etwas jünger, dafür fast gänzlich kahl. Aus ihren Mienen war nichts zu lesen. Guilhem de Montpelher war erst Mitte dreißig und neben
Vescoms
de Menerba der Einzige, der Ermengarda aufmunternd zuzwinkerte.
Nach einer überraschend kurzen Andacht, der Erzbischof hatte es offenbar eilig, begrüßte er die Anwesenden und bedankte sich für ihre Teilnahme.
»
Messenhers,
kommen wir gleich zur Sache und halten uns vor Augen, welch ungeheurer Frevel hier begangen wurde.«
Für eine so schmächtige, gebeugte Gestalt hatte seine Stimme eine überraschende Fülle und hallte im mächtigen Kirchenschiff von allen Seiten
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