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Die Comtessa

Die Comtessa

Titel: Die Comtessa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulf Schiewe
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mit auf den Weg gegeben. Berenguer Peire de Peirapertusa war in der Tat ein Mann von jähzorniger Natur gewesen, besonders wenn er, wie so oft, zu viel getrunken hatte. Ein unsinniger Streit während eines Zechgelages hatte Arnaut und seine Geschwister früh zu Halbwaisen gemacht.
    »Was bist du nur für ein Hornochse!«, schimpfte Severin weiter. »Wenn wir so heimkehren, lachen sie uns aus,
putan!
«
    Diesen ungebührlichen Ton gegenüber seinem Herrn durfte er sich erlauben, weil die beiden von Kindesbeinen an Freunde waren.
    Dass man ihre Dienste ablehnen könnte, war ihnen nie ernsthaft in den Sinn gekommen. Drei Jahre lang hatten sie täglich bis zur Erschöpfung mit Waffen und Pferden geübt. Immer unter der strengen Aufsicht so erfahrener Krieger wie Arnauts Oheim Raol und seinem Großvater Jaufré. Bei der gemeinsamen Schwertleite hatten sie endgültig ihre Waffen und Ausrüstung erhalten. Nein, stöhnte Arnaut innerlich, nach all den Vorbereitungen, den Geschenken für ihr zukünftiges Kriegerdasein, weisen Ratschlägen und guten Wünschen der Familie konnten sie nicht auf so klägliche Weise wieder zu Hause auftauchen. Lieber wäre er gestorben.
    Niedergeschmettert saßen sie auf dem Brunnenrand und blickten verdrossen auf das Marktplatztreiben vor ihren Augen, ohne viel davon wahrzunehmen. Auch Jori hockte still zu ihren Füßen, als habe der Trübsinn der beiden jungen Männer auch ihn erfasst.
    An diesem Morgen war nichts mehr vom gestrigen Aufruhr zu spüren, und die Menschen schienen ihren Geschäften nachzugehen, als sei nichts geschehen. Ob sie die Toten schon begraben hatten? Arnaut stellte sich das kleine Mädchen vor, das einer Speerspitze zum Opfer gefallen war, aufgebahrt im Kreise der trauernden Familie, in ein weißes Leichentuch gehüllt. Gewiss hatten sie die schreckliche Wunde bedeckt, ihr Blumen in die kleinen Hände gelegt, vielleicht die bleichen Wangen mit etwas Schminke belebt. Oder hatte man sie in ein Armengrab geworfen, weil sie wie Jori nur ein Straßenkind gewesen war?
    Eine Bettlerin näherte sich mit wehleidigem Singsang. Auf der Hüfte trug sie ein halbnacktes Kind, dem der Rotz aus der Nase lief. Unterwürfig, mit verfilzten Haaren, stand die Frau vor ihnen und hielt den Blick gesenkt, als schäme sie sich, der Welt in die Augen zu sehen. Nur ihre schmutzige Hand ragte aus den Lumpen, in die sie gehüllt war. Das Kind starrte Arnaut aus dunklen Augen an. Unwillkürlich griff er in seine Gürteltasche und legte eine Kupfermünze in die Hand der Frau, deren Finger sich um das Geldstück krallten und es zwischen den Lumpen verschwinden ließen.
    »
Dieu vos gard,
Senher
«, murmelte sie und blickte kurz zu ihm auf, dann wandte sie sich ab und wanderte weiter. Wie jung sie noch ist, dachte er erstaunt.
    Severin warf ihm einen missbilligenden Blick zu.
    »Ich tue nur meine Christenpflicht«, brummte Arnaut.
    »Leben wir etwa im Überfluss? Ausgerechnet jetzt?«
    Er hatte recht. Ohne Sold würde das Geld nicht lange reichen, das die Mutter ihm mitgegeben hatte. Sollten sie sich einen anderen Herrn suchen? Aber wen?
    Vor lauter Grübeln war Arnaut ganz dumm im Kopf. Er war niemand, der sich lange mit Jammern und Grillenfängerei aufhalten mochte. Schwermütige Gedanken schnürten ihm die Kehle zu.
    »Also, was gibt’s hier zu sehen, Jori?«, fragte er unwirsch. »Vom Rumsitzen tut einem nur der Hintern weh.«
    Der Junge sprang freudig auf, als habe er nur auf eine solche Einladung gewartet. »Ich zeige Euch die Stadt. Dann habt Ihr wenigstens etwas zu erzählen, wenn Ihr zu Euren Leuten heimkehrt.«
    Arnaut rutschte vom Brunnenrand und gab ihm einen Klaps auf den Hinterkopf. »So schnell wirst du uns nicht los. Also, wo fangen wir an?«
    »Bei der Kathedrale natürlich.«
    »Lass uns erst die Panzer ablegen«, maulte Severin. Aber Arnaut gab keine Antwort, sondern marschierte mit Jori an der Seite los. Severin blieb nichts anderes übrig, als mit sauertöpfischer Miene zu folgen. Sie durchquerten lo Borcs Stadttor und erreichten die alte Römerbrücke über die Aude.
    »Die größte Brücke der Welt«, krähte Jori.
    »Übertreib nicht.«
    »Doch. Sie steht auf sieben Bögen und ist so alt, dass niemand weiß, wann sie gebaut wurde.«
    Der Fluss war breit, und die Brücke das größte Bauwerk, das Arnaut je gesehen hatte. Unter einigen ihrer Bögen wurden Mühlräder betrieben. Die Gemäuer für Getriebe und Mühlwerk wirkten fast zierlich und wie angeklebt an diesen Koloss von

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