Die Comtessa
ermordet.«
»Unsinn!«, sagte Arnaut. »Der war selber Jude. Und getötet hat ihn Pontius Pilatus.«
In diesem Augenblick kam hoch zu Ross ein fürstlich gekleideter Edelmann aus dem Tor des Palastes, gefolgt von zwei berittenen Leibwachen. Er strebte mit finsterer Miene geradewegs dem Wassertor zu, ohne nach links oder rechts zu blicken.
»Wer ist das?«, fragte Severin.
»
Vescoms
Peire de Menerba«, raunte Jori. »Der Statthalter.«
»Der hätte das Gemetzel gestern verhindern müssen.«
Jori zuckte mit den Schultern. »Wer will sich schon mit den Tolosaner Söldnern anlegen.«
»Als Statthalter kann er doch über sie bestimmen.«
»Was wissen wir schon?«, meinte Arnaut und zog seinen Freund mit sich. »Komm, wir schauen uns den Markt an.«
Der alte Markt, wie man das ehemalige römische Forum nannte, das sich am anderen Ende nahe dem Nordtor befand, hatte in den Jahrhunderten seine Bedeutung verloren und diente nur noch als Pferde- und Viehmarkt. Hier aber, zwischen Wassertor und den Palästen des Erzbischofs und der Vizegrafen, die sich auf Steinwurfweite gegenüberlagen, befand sich der jetzt wichtigste Marktplatz der Stadt, genannt la Caularia.
Die Marktbuden und Verkaufsstände waren nicht so ärmlich wie jene auf der Brücke, denn alles, was Dreck, Gestank oder Lärm verursachte, war aus dieser vornehmen Nachbarschaft verbannt. Wachen der
militia urbana
schlenderten in der Menge der Käufer, Marktaufseher achteten darauf, dass alles mit rechten Dingen zuging. Hier herrschte nicht das Gekreische der Fischweiber, und das Angebot an Weinen, Käse und feinstem Schinken war von erster Güte. Tuchhändler und Kunstschmiede boten ihre Waren feil, es gab wohlriechende Seifen, Kräutersalben, Gewürze aus Outremer, weiches Kalbsleder, ja sogar das sündhaft teure
vellum,
das aus der Haut ungeborener Kälber hergestellt wird und nur für besondere Urkunden und die kostbarsten Bücher Verwendung findet.
An der Ecke zur Via Domitia, die zwischen herrschaftlichen Häusern nach Norden verlief, lag die Münze von Narbona. Gleich daneben gehörte das Ostende des Marktes den
cambiadors,
den Geldwechslern, und war zum Großteil in den Händen der Juden. Hier wurden Anteile an Mühlen oder Schafherden verkauft, Anleihen gewährt, Wechsel ausgestellt, nicht zu reden von den vielen Münzen aus aller Welt, die hier begutachtet, gewogen und getauscht wurden.
Doch die wirklich bedeutenden Geschäfte wurden nicht hier, sondern in den Kontoren der reichen Kaufleute getätigt, in ihren Lagerhallen, die mit Ballen von Wolle, Fässern von Wein, Öl und Salz bis unter die Decke gefüllt waren. Und natürlich fand ein Teil dieses Geldsegens seinen Weg zu den besten Schneidern, wo vornehme Damen Maß nahmen für modische Gewänder in Seide und Damast. Oder zu den Werkstätten der Gold- und Silberschmiede, wo ihre Männer edles Geschmeide für die jeweilige Favoritin erwarben. Denn eines war sicher, auch wenn Scharen von Bettlern in den Gassen lungerten, an Geld mangelte es nicht in Narbona.
***
»Das hier ist der Palast des Erzbischofs«, sagte Jori.
Sie standen vor einem mächtigen Turm, der den Marktplatz überragte und wie ein grimmer Wächter den von einer hohen Mauer umschlossenen inneren Bereich des Palastes schützte, dessen lange Front an die Via Domitia angrenzte. Dahinter die Kathedrale.
»Alles auf der linken Seite der Straße gehört zum Bezirk des Erzbischofs. In lo Borc ist es ähnlich.«
»Der Erzbischof herrscht wie ein Fürst«, klärte Arnaut seinen Freund auf. »Das Erzbistum unterhält auch außerhalb der Stadt große Ländereien und Burgen im ganzen Land.«
Neben dem Tor war ein gewaltiger, eiserner Anker angebracht mit langem Schaft und breiten, spitz zulaufenden Flunken.
»Und wozu der Anker?«
»Er ist das Zeichen, dass der Erzbischof über alle Schiffe herrscht«, rief Jori, bevor Arnaut antworten konnte.
»Nicht ganz, aber so ähnlich«, ließ sich eine Stimme neben ihnen vernehmen. Sie gehörte einem gutgekleideten jungen Mann, der aus dem Tor getreten war und Jori freundlich angrinste. »Das Erzbistum besitzt das Zollrecht auf alle Waren, die per Schiff verfrachtet werden.«
Dann wandte er sich Arnaut zu. »
Perdona me,
aber ich habe zufällig mitgehört. Ihr müsst neu in der Stadt sein. Vielleicht kann ich Euch zu Diensten sein. Mein Name ist Felipe.«
Arnaut erkannte in ihm den jungen Edelmann, der am Vortag die Fürstentochter Ermengarda beschützt hatte. Dichtes, rotblondes Haar
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