Die Comtessa
Brücke. Breit und aus mächtigen Quadern gefügt, schien sie unzerstörbar, auch wenn der Stein verwittert war und unzählige Fuhrwerke in den tausend Jahren ihres Bestehens tiefe Radrinnen hinterlassen hatten.
Sie wichen einem Ochsenkarren und einer Gruppe von jungen Mönchen aus, die laut schwatzend an ihnen vorüberzogen. Auf den Gehsteigen zu beiden Seiten war Platz genug für Buden und Verkaufsstände. Manche waren feste Holzhäuser und ragten zur Hälfte über den Fluss hinaus. Hier war das Reich der Fleischhauer, denn der Standort war günstig, um Blut und Schlachtabfälle ohne Umstände in den Fluss zu leiten.
Aus ähnlichen Gründen waren auch die Fischweiber angewiesen, hier ihre Waren anzupreisen. Dazwischen einfachste Stände, nicht mehr als ein paar aufgebockte Bretter, von Kesselflickern und Messerschärfern, Kräuterfrauen, Töpfern und Korbmachern. Es herrschte ein Kommen und Gehen wie auf einem Jahrmarkt, so dass es Arnaut ganz schwindelig wurde.
An einer freien Stelle lehnte er sich über die Brüstung. Träge floss unter ihm die Aude in Richtung Lagune und Seehafen. An den sandigen Ufern lagen flache Boote, und auf dem Wasser selbst herrschte reges Treiben. Mit langen Riemen, die sanfte Strömung nutzend, trieben Schiffer ihre hochbeladenen Kähne dem Seehafen zu. Fischerboote mühten sich flussaufwärts, um ihren Fang zu landen, in großen, geflochtenen Körben, angefüllt mit silbernen Fischleibern, Krebsen und Muscheln. Am Ufer hockten Weiber und Kinder, um den Fisch auszunehmen. Die Innereien landeten im Fluss, zur Freude der Möwen, die sich krakeelend um die besten Stücke balgten.
Die Wolkendecke war inzwischen aufgerissen, und die Sonne hatte sich mit leuchtenden Farben zurückgemeldet. Das Gelb, Braun und Rot der Ziegeldächer spottete dem Grau der weichenden Regenwolken, hellgrün und silbern glitzerte der Fluss, und in der fernen Lagune spiegelte sich das tiefe Blau des südlichen Himmels. Eine Brise wehte von dort herüber, schwanger vom Geruch des Uferschlicks, in dem tausend Seevögel nach Nahrung pickten, und dem salzigen Duft der Salinen auf den vorgelagerten Stränden, die sich als dunkle Linie am Horizont abzeichneten.
»He, Kamerad, bald werden wir das Meer sehen, stell dir vor.« Er schlug Severin auf die Schulter. »Morgen reiten wir dort hinaus.«
Am anderen Ufer passierten sie den Wachposten für den Brückenzoll, der den durchreisenden Händlern abverlangt wurde, und fanden sich dann vor dem großen Tor zur Ciutat wieder, dem ursprünglichen Kern der Stadt.
»Das Wassertor«, sagte Jori. »Heißt so, weil es zum Fluss führt.«
Die hohe Mauer, in die Turm und Tor gebettet waren, sah aus, als hätte man beim Bau alles verwendet, was zufällig zur Hand gewesen war. Neben Feldsteinen und groben Quadern waren auch Bauteile römischer Herkunft zu erkennen. Polierte Blöcke aus antiken Villen, Bruchstücke von Tempelfriesen, marmorne Grabplatten mit kunstvoll gemeißelten Inschriften. Sogar einen mit römischen Zahlen versehenen Meilenstein konnte Arnaut entdecken.
»Zu Römerzeiten, hat mir Großvater erzählt, war Narbona neben Marselha die wichtigste Stadt westlich Roms«, sagte Arnaut. »Es wurde mit Olivenöl und vor allem Wein gehandelt.«
Sie schlenderten ungehindert durch das Tor und betraten den großen Markt der Ciutat. Jori wies auf einen trutzig dreinblickenden Palast gleich zu rechter Hand.
»Lo palatz vescomtal«,
erklärte er.
Ein wuchtiger Turm, hohe Mauern, schmale Schießscharten und die gekreuzten Speere der Wachen vor dem Tor vermittelten den Eindruck einer wehrhaften Festung. Hier lebt also Ermengarda, dachte Arnaut und versuchte, sich ihr Bild in Erinnerung zu rufen.
»Die eine Hälfte der Ciutat, alles zu rechter Hand der Via Domitia, untersteht der Vizegräfin. Und gleich hinter dem Palast beginnt das Judenviertel.«
Arnaut hatte schon gehört, dass unter dem Schutz der Vizegrafen viele Juden lebten. Sie unterhielten sogar eine berühmte Schule, die von Rabbinern aus der ganzen Welt besucht wurde. Jüdische Geldwechsler und Händler gehörten zu den wohlhabendsten Bürgern, auch wenn sie nicht den Gilden beitreten durften.
»Sind die
jusieus
so geldgierig, wie man sagt?«, fragte Severin.
»Weiß nicht«, erwiderte Jori. »Jedenfalls geben sie mehr Almosen als die Christen.«
»Wirklich?«, sagte Severin erstaunt. »Muss das schlechte Gewissen sein und die Angst vor der Hölle. Schließlich haben sie unseren Heiland
Weitere Kostenlose Bücher