Die Comtessa
Gemeinsamkeiten rührend, an die sie nicht erinnert werden wollte?
Dennoch konnte sie ihm nicht länger ausweichen, denn seit eh und je waren die Menerbas das wichtigste Geschlecht in der Grafschaft. Peire hatte oft an Aimerics Seite gekämpft, er war der Fürsprecher der adeligen Familien, und selbst die reichen Kaufleute schätzten seine Klugheit. Sie brauchte seine Unterstützung.
Menerba räusperte sich. »Nun, wie dem auch sei«, seine Stimme klang jetzt höflich und kühl, »wir haben dringendst über einiges zu reden.«
Sie sah ihn scharf an. »Über was?«
»Über den Vorfall gestern. Wir können nicht einfach darüber hinweggehen. Es brodelt in Narbona. Selbst wenn der Adel noch stillhält, aber Bürger und Volk haben genug.«
»Wer hat denn zuerst mit Steinen geworfen? Ich selbst hätte zu Schaden kommen können. Es war nur recht, dass die Tolosaner für Ordnung sorgten.«
»Es geht ja nicht nur um diesen unglücklichen Vorfall gestern. Seit Jahren macht sich Alfons hier breit. Es wird Zeit, ihn loszuwerden. Hast du es selbst nicht oft genug gesagt?«
Ihr lag eine spitze Erwiderung auf der Zunge, aber dann seufzte sie und ließ unwillkürlich die Schultern hängen. »Das habe ich, es ist wahr.« Daraufhin schwiegen sie, jeder hing den eigenen Gedanken nach.
Ach, was hatte sie doch für Pläne gehabt. Narbonas Lage auf den großen Handelsstraßen des Landes war von einzigartiger Bedeutung. Als Herrscherin dieses Kleinods hatte sie das Zünglein an der Waage spielen wollen zwischen den Mächten des Südens, den Aquitaniern, Tolosanern und Katalanen. Macht, Einfluss und Reichtum zum Greifen. Doch Alfons Jordan hatte sich eingeschlichen wie der Wolf im Schafspelz. Töricht, zu glauben, sie könne sich ihm widersetzen.
Sie erinnerte sich, wie er zum ersten Mal vor drei Jahren mit großem Gefolge in Narbona aufgetaucht war. In Sorge um die Vizegrafschaft habe der gute Erzbischof ihn gerufen und auf seine Verantwortung verwiesen, hatte er salbungsvoll getönt. Schließlich sei er, als Herzog von Narbona, seinem verstorbenen Lehnsmann Aimeric verpflichtet, Gott sei seiner Seele gnädig, sich um die Witwe und verwaisten Kinder zu kümmern. Lauerten nicht fremde Mächte habgierig an Narbonas Grenzen?
Dass die Tolosaner Grafen Herzöge von Narbona sein sollten, davon wisse sie nichts, hatte sie ihm geantwortet. Über diese schroffe Haltung hatte er sich sehr verwundert gezeigt und war eine Weile ihrem Hofe ferngeblieben, ohne jedoch die Stadt zu verlassen.
Bald darauf hatte der gerissene Kirchenfürst Leveson uralte Dokumente und Urkunden hervorgezaubert, mit denen der Anspruch bewiesen sei. Alfons hatte begonnen, hinter ihrem Rücken den Adeligen und reichen Bürgern der Stadt Versprechungen zu machen. Einer nach dem anderen ihrer Ratgeber hatte ihr gut zugeredet, Tolosas Schutz nicht zu verachten. Still und heimlich, offensichtlich mit Billigung des Erzbischofs, wurden immer mehr Tolosaner Truppen einquartiert. Als sie dagegen aufbegehrte, war es zu spät. Was hätte sie als schutzlose Frau unternehmen können?
Dann war im letzten Jahr die Nachricht gekommen, König Louis rücke mit einem Heer an, um Tolosa zu belagern. Seiner jungen Gemahlin Alienor zuliebe wollte der Monarch den alten Familienanspruch Aquitaniens auf die Grafschaft Tolosa durchsetzen. Heimlich hatte Ermessenda sich die Hände gerieben, ging es doch nun dem Wolf selbst an den Kragen. Bevor Alfons überstürzt Narbona verlassen hatte, um sein Heer zu sammeln, war es ihr gelungen, Menerba als Statthalter durchzusetzen. Dies hatte ihr eine Atempause verschafft und das Gleichgewicht gegenüber dem Erzbischof wiederhergestellt.
Doch zu ihrer Bestürzung hatte König Louis sich anders besonnen und die Belagerung von Tolosa wieder aufgegeben. Bald darauf war auch Alfons zurück, mit noch mehr Kriegern im Gefolge. Selbst ein Hilferuf an den mächtigen Neffen ihres verstorbenen Gemahls, Ramon Berenguer von Barcelona, hatte außer schönen Worten nichts an greifbarer Hilfe gebracht. Wem konnte sie also noch trauen, wenn nun selbst das Volk sie mit Steinen bewarf?
Sie sah Menerba an, der mit gerunzelten Brauen ins Kaminfeuer stierte. Ihm vielleicht schon, aber was er seit langem von ihr verlangte, war sie nicht bereit zu geben. Darüber hatten sie sich zerworfen. Und dennoch war Peire ihr letzter wichtiger Verbündeter.
»Ich bin es müde, auf verlorenem Posten zu stehen«, sagte sie leise. »Vielleicht ist ein Bündnis mit Tolosa nicht das
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