Die Comtessa
Ermengarda, wenn sie es wirklich war, seine Lehnsherrin. Dann sprang er wieder auf und bot ihr einen der Stühle an, wagte sich selbst aber nicht zu setzen. »Wie kann ich Euch zu Diensten sein, Herrin?«
»Man trachtet mir nach meinem Erbe«, sagte sie ohne Umschweife. »Ich brauche Eure Hilfe.«
Sie löste die Schnüre ihrer Tunika und holte das Schreiben des Abtes von Sant Paul hervor. Der Prior trat ans Fenster, las aufmerksam und lauschte dann Ermengardas Geschichte von erzwungener Heirat, Tolosaner Machtgelüsten und den Ränken ihrer Stiefmutter. Als sie ihre Flucht schilderte, schüttelte er vor Staunen immer wieder den Kopf. Von den Stunden bei den Aussätzigen erzählte sie vorsichtshalber nichts.
»Aimerics Erbe gehört seinen Kindern, nicht den Grafen von Tolosa«, sagte sie, als sie geendet hatte. »Gott kann diese unrechte Verbindung nicht wollen.« Ihre Stimme zitterte etwas bei diesen Worten, obwohl sie versuchte, sich keine Schwäche anmerken zu lassen.
Wenn sie gedacht hatten, der Mönch würde die Hände über dem Kopf zusammenschlagen vor so viel jugendlichem Ungehorsam, vor ihrem Unverstand und Leichtsinn, dann hatten sie sich gründlich in Prior Berard getäuscht. Er war eine kämpferische Seele, und seine Augen leuchteten bei ihren letzten Worten.
»Bei allen Heiligen, Herrin«, rief er mit großem Nachdruck. »Gott ist auf der Seite der Gerechten! Und was mich und meine Brüder hier betrifft, so könnt Ihr auf uns zählen. Für sie alle lege ich die Hand ins Feuer.«
»Und wie soll es jetzt weitergehen?«, fragte Bruder Aimar in mildem Ton.
»Das wollten wir dich fragen«, antwortete Arnaut an Ermengardas Stelle. »Deshalb sind wir hier.«
»Warum mich, um alles in der Welt?«
Zum ersten Mal mischte sich Felipe ein. »Mein Vater hat gute Beziehungen zum Hause Trencavel, wo man schon seit geraumer Zeit Alfons’ Taktieren um Narbona mit Sorge betrachtet. Es gehen Gerüchte um, dass sie sich zum Krieg gegen Alfons rüsten. Deshalb schien es das Beste, nach Carcassona zu reiten. Aber dann hat Arnaut uns überzeugt, die Straßen dorthin seien jetzt zu gefährlich, und außerdem«, er grinste unbekümmert auf seine einnehmende Art, »Ihr wüsstet besser, was zu tun sei, bevor wir eine Dummheit begehen.«
»Du bist doch weit gereist, Aimar«, pflichtete Arnaut bei. »Du warst an Domschulen und Fürstenhöfen. Wenn du uns nicht raten kannst, wer dann?«
»Ach, die große Politik«, sagte der Prior und hob hilflos die Arme. »Das ist fürwahr nicht meine Sache.«
Bruder Aimar erhob sich und lächelte. »Erwartet nicht zu viel von mir. Ob ich helfen kann, weiß ich nicht, aber gehen wir doch ein wenig nach draußen. Hier drinnen ist es zu eng und stickig.«
Unter den neugierigen Blicken der übrigen Mönche traten sie ins Freie, verließen die Einfriedung und schlenderten tief im Gespräch am Bach entlang, bis sie zu Prior Berards Zuflucht kamen, wo er oft und gern ungestört mit seinem Gott sprach. Ein schattiges Plätzchen mit einer Bank im grünen Gras und moosbewachsenen Steinen.
Es war ein strahlender Oktobernachmittag, wie es sie nicht selten gibt, angenehm warm für die Jahreszeit, voll goldenen Lichts über sanften Hügeln, die in den schönsten Herbstfarben glühten.
»
Vescomtessa
Ermengarda«, wandte sich
Fraire
Aimar an sie. »Ich nenne Euch so, denn trotz Eurer Jugend seid Ihr durch diese Heirat in den Genuss des Titels gekommen. Das kann Euch niemand abstreiten. Gerade deshalb aber ist es wichtig, zu erwägen, in wessen Hand Ihr Euch begebt. Ohne Zweifel seid Ihr ein Pfand der Macht von außerordentlichem Wert. Arnaut hat Euch deshalb gut beraten, vorsichtig zu sein.«
»Glaubt Ihr, die Trencavels hegen böswillige Absichten?«, fragte sie verunsichert.
»Keineswegs! Doch wäre es vielleicht besser, sich der Partei anzuvertrauen, die noch am ehesten Euren Vorteil am Herzen hat. Ich meine die Katalanen, Eure eigenen Verwandten. Graf Ramon Berenguer ist doch Euer Vetter.«
»Ich weiß, aber Barcelona ist weit. Was kümmert ihn unser kleines Narbona. Außerdem sagt man, dass er seit seiner Verlobung mit Peronella von Aragon nur noch die Vereinigung der beiden Reiche im Sinn hat.«
»Das mag sein, aber vergesst nicht, dass die Katalanen auch diesseits des Pireneus Besitzungen haben. Dazu kommt der katalanische Teil der Provença, ein ewiger Zankapfel zwischen Barcelona und Tolosa. Ihnen ist daran gelegen, ein Gleichgewicht der Mächte zu erhalten. Deshalb pflegen sie gute
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