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Die Containerfrau

Die Containerfrau

Titel: Die Containerfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Smage
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sind so seltsam fremd. Sie befreit sich ein wenig weiter von Segeltuch und Decke, schaut aus großen Augen in eine Kellergarage. Sie erinnert sich. Die Nummernschilder erwecken in ihr die Erinnerung, bringen Ruhe in ihre Gedanken. Sie ist nicht zu Hause. Sie war schon lange nicht mehr zu Hause, ist schon lange unterwegs. Sie befindet sich an einem anderen Ort. In einem anderen Land, dem Land, von dem sie ihr versprochen hatten … Jetzt wagt sie, sich an das zu erinnern, was sie die ganze Zeit vergessen hatte. Sie zieht das Segeltuch über sich und weint leise. Aber die Königin lässt sie nicht hier liegen und weinen. Die Königin befiehlt ihr, aufzustehen und in jede Ecke zu schauen, jeden Winkel zu untersuchen, sich jedes Detail einzuprägen. Unter der Decke und an den Wänden hängen Schilder. Darauf ist ein gehender Mann zu sehen. Die beiden Buchstaben daneben bedeuten sicher »Ausgang«. Sie müht sich mit der Tür ab, die lässt sich nicht von innen öffnen. Sie kriecht nach vorn auf den Fahrersitz und öffnet die Tür, steht auf unsicheren Beinen auf einem Betonboden. Kein Mensch zu sehen. Aber sie hört einen Fahrstuhl. Aus diesem Fahrstuhl kommen ein Mann und eine Frau, die durchaus nicht auf sie achten, wie sie sich hier hinter einem Zementpfeiler versteckt. Sie geht auf den Fahrstuhl zu, fährt sich mit der Hand durch die Haare und spürt, dass die von Creme und Öl total verklebt sind. Dann steht sie vor dem Fahrstuhl, öffnet die Tür, geht hinein, betrachtet das Schild. Drückt.
    »Niedlich, diese Studentinnen«, sagt eine Frauenstimme unten in der Tiefgarage. »Woll-Leggings und Minirock.« Der Mann schmunzelt nur und lässt den Wagen an.
     
    Die Welt, die sie nun betritt, die Welt, die sie sieht, als die Fahrstuhltür sich öffnet, ist anders als alles andere. Sie bleibt wie gelähmt stehen, dann breitet sich auf ihrem Gesicht ein Lächeln aus, ein strahlendes Lächeln.
    Hier ist es, das hier wollte sie, jetzt hat sie es gefunden.
    Ein hoher, großer Raum, eine Landschaft mit Menschen, grünen Pflanzen, vielen Treppen und Fenstern, hoch oben ein Glasdach, Glaswände und Marmor, Kerzen, Kellner und Läden, Klaviermusik und schöne Kleider. Kleider. Kleider nähen zu lernen, wie diese Frauen sie tragen. Ihren Traum zur Wahrheit werden zu lassen. Sie ertappt sich plötzlich dabei, dass sie mit offenem Mund glotzt. Reißt sich zusammen, sie darf hier nicht auffallen, die Aufmerksamkeit auf sich lenken, niemand darf sie anstarren. Ein Mann kommt auf sie zu, sie sinkt in sich zusammen, er ist fein angezogen, als er sie anrempelt, sagt er »sorry« und läuft eilig weiter zum Fahrstuhl. Hinter ihm hängt der Geruch von Zigarren und Schnaps in der Luft. Aber sie hat schon den nächstliegenden Ausgang entdeckt. Eine Glastür, die sich immer wieder um sich selbst dreht. Sie steht eine Weile vor dem Glashaus, ehe sie sich näher wagt. Denn draußen liegt die Stadt, liegen die Straßen, doch die Straße, die sie hier sieht, ist hoffnungslos breit. Egal, wo sie auch sein mag, in Hafennähe ist sie jedenfalls nicht. Sie holt tief Luft und schiebt an der Tür.
    Niemand achtet weiter auf eine junge Frau, die auf der Treppe zum Olavskvartal in der Stadt Trondheim steht. Weder die Fahrgäste im Flughafenbus vor dem Royal Garden noch die Fahrer am Taxiplatz finden an ihr etwas Aufsehenerregendes. Niemand starrt, sie ist nur eine normale junge Frau.
    Die »normale« junge Frau schaut nach links, sieht eine flache Landschaft mit Straßen, Brücken, niedrigen Häusern. Offen. Sie dreht den Kopf nach rechts, hier ist mehr Verkehr, die Häuser stehen dichter, enger. Sie überquert die Straße und geht am Wasser entlang.

16
    Der »Jäger« sah sie sofort, als sie hereinkam. Sie kam hinter drei anderen Frauen, die kannte er, aufgeblasene Studentinnen, die eigentlich total zombie im Kopf waren. Er hatte einmal versucht, mit ihnen zu reden, zu diskutieren. Aber dieses Wort gab es nicht im Wortschatz der Mädels. Die hier jedoch war neu. Sah absolut interessant aus. Als habe sie etwas im Kopf, als könne man mit ihr reden. Er sieht, wie die drei sich auf freie Stühle setzen, die zwei Jungen für sie freigehalten haben. Er sieht sie lächeln und danken. Eine bekommt einen Kuss auf die Wange. Die Letzte, die Neue, steht leicht verloren da, abgewiesen gewissermaßen. Er sieht, dass sie eine Hand auf einen Stuhlrücken legt und sich im Lokal umschaut, ihre Augen suchen einen freien Platz. Aber es gibt nicht viele freie Plätze in

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