Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Containerfrau

Die Containerfrau

Titel: Die Containerfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Smage
Vom Netzwerk:
Kopf nimmt eine Idee Form an. Sie sagt sich, dass die auch nicht weniger wahnwitzig ist, als einer Straße zu folgen, von der sie nicht weiß, wohin sie führt. Auf dem Platz steht eine Hand voll Pritschen- und Lieferwagen. In den beiden nächststehenden blinkt etwas Rotes. Ein Alarm. Der Wagen ganz außen dagegen hat keine blinkenden Lampen. Nur sind die Türen abgeschlossen, alle vier. Sie lässt ihre Augen hin und her wandern, um nichts in der Welt darf sie entdeckt und als Autodiebin festgenommen werden. Als sie auf das Schloss der Hecktür drückt, springt die auf.
    Und kein Alarm schaltet sich ein. Sie riecht Hundegeruch, schaut sich vorsichtig im Auto um. Aber kein Hund springt vor und schnappt nach ihrer Kehle. Dabei liegt dort eine Decke, voller Hundehaare. Und weiter drinnen liegt noch ein Stoffstück, ein steifes Segeltuch mit angenähten Bleistücken. Sie gleitet unter dieses Tuch. Und die Decke. Macht sich klein. Macht sich ein Atemloch und wartet. Wartet. Spricht kein Gebet. Von der Königin hat sie keine Gebete gelernt, sondern nur das Überleben. Hat gelernt, aus Situationen hinauszugleiten, durch die Hintertür zu verschwinden, einen Schritt rückwärts zu machen, dann noch einen, bis sie in Sicherheit ist. Nur dumme Menschen, tote Menschen, spielen Held oder Heldin. Solche Menschen wie sie und die Königin wollen nur überleben. Jetzt liegt sie hier und überlebt. Als sie hört, wie die Autotür geöffnet wird, wie ein vor sich hin murmelnder Mann einsteigt, wie er den Zündschlüssel einschiebt und den Motor anlässt, liegt sie da und überlebt. Als er zurücksetzt, ohne zu entdecken, dass Segeltuch und Hundedecke höher liegen als vorher, liegt sie da und überlebt.
    Sie liegt und überlebt ganz passiv, bis der Wagen eine scharfe Kurve macht, bei der ihre Hand plötzlich gegen etwas Hartes gedrückt wird, etwas, das in ihrer Jackentasche steckt. In der Innentasche. Die Waffe. Und die Plastiktüte mit den Patronen. Die Waffe ist sicher geladen, sie sollte doch erschossen werden. Aber sie hat sie ausgetrickst, hat Andrej ausgetrickst, hat alle ausgetrickst. Vielleicht werden sie Andrej erschießen, wenn sie feststellen, dass sie verschwunden ist. Das hat er nicht verdient, er war lieb. Hat ihr gezeigt, wo er die Waffe versteckt hatte, hat ihr Cremes gebracht, damit sie sich durch das enge Ventil aalen konnte. Ihre Hand schließt sich um ein Stück hartes Metall, sie darf jetzt nicht weinen, darf nicht um Andrej weinen. Er redet ja doch nie mit ihr, ist nur zerstreut und gereizt, kümmert sich um seinen eigenen Kram und sagt nie, wer seine Freunde sind, woher er das viele Geld hat, und warum er nicht mehr in der Fabrik arbeitet. Er hatte auch keine Zeit, um zur Beerdigung der Königin zu kommen. Das wird sie ihm nie verzeihen.
    Der Wagen hält. Der Motor läuft. Dann fährt er weiter. Sie hört Geräusche. Stadtgeräusche. Autos, die fahren, Busse, die beschleunigen, eine Hupe, sie hört leise Stadtgeräusche, die durch ihre Decken gefiltert werden. Der Wagen hält und fährt weiter. Immer wieder. Sicher hält er vor Ampeln, sie wagt nicht, aus dem Fenster zu sehen. Am Ende geht es abwärts, der Motor hört sich anders an. Dann hält der Wagen. Der Motor wird ausgedreht. Und die Wagentür fällt knallend ins Schloss. Sie liegt mäuschenstill in ihrer Dunkelheit, die jählings um viele Nuancen heller wird. Sie umklammert krampfhaft die Waffe und wartet nur darauf, hinauskommandiert zu werden. Fünf Minuten lang liegt sie wie tot da, bewegt nicht einen einzigen Muskel. Zehn Minuten vergehen, fünfzehn. Dann schaut sie hervor.
    Schiebt langsam ein Stück Hundedecke weg und sieht mit einem Auge. Licht. Neonlicht. Sie richtet vorsichtig ihren Oberkörper auf. Und ihr sinkt das Herz. Keller. Sie befindet sich in einem Keller! Auf einem unterirdischen Parkplatz für Menschen, die Macht haben. Die sie holen, sie aus dem Wagen zerren und zum Verhör schleifen werden. Die sie so lange festhalten werden, bis sie zusammenbricht. Sie wird ihnen von Andrej erzählen, dass er nicht mehr in der Fabrik arbeitet und kein Geld haben dürfte, dass er aber mit Dingen um sich wirft, die sie früher nie gesehen haben. Und besessen haben schon gar nicht. Plötzlich richtet sie sich noch ein wenig weiter auf. Hier stimmt etwas nicht. Hier stimmt sehr viel nicht. Die Autos, die hier stehen, hat sie nie gesehen, in den Straßen zu Hause hat sie nie solche Autos gesehen. Und die Lampen unter der Decke, an den Wänden, auch sie

Weitere Kostenlose Bücher